Zu cool für dich
auf seinen Arm. »Beruhige dich.«
Ich wandte mich an sie: »Wie seid ihr überhaupt nach Hause gekommen, wenn ihr euren Schlüssel gar nicht dabei hattet?«
»Nun«, sagte sie, »wir ...«
»Wir hatten einen Wagen aus dem Laden, schon auf der Hinfahrt«, fauchte Don. »Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass wir dir und deinem Bruder jede Menge Nachrichten hinterlassen haben, verflucht noch mal, auf die keiner von euch beiden reagiert hat. Deswegen warten wir hier seit über einer Stunde und wollten gerade ein Fenster einschlagen ...«
»Aber jetzt ist sie doch da«, sagte meine Mutter aufmunternd. »Also nehmen wir Remys Schlüssel und gehen ins Haus und alles ist wieder ...«
»Verdammt, Barbara, unterbrich mich gefälligst nicht!« Aufgebracht fuhr er zu ihr herum.
Einen Augenblick lang war es sehr still. Ich sah meine Mutter an und hatte plötzlich das Gefühl, sie beschützen zu müssen. Das hatte ich seit Jahren nicht mehr gehabt. Denn üblicherweise war
ich
diejenige, die sie anbrüllte oder – was noch öfter vorkam – sich wünschte sie anzubrüllen. Aber egal, wie sehr meine Mutter mich manchmal auf die Palme brachte – sie und Chris waren meine Familie. Und es hatte immer eine klare Grenze gegeben zwischen uns, der Familie, und dem jeweiligen Mann in ihrem Leben. Don sah die Grenze nicht, ich schon.
»Sprich nicht so mit meiner Mutter«, sagte ich zu Don, gar nicht laut und sehr ruhig.
»Gib mir deinen Schlüssel, Schatz«, sagte meine Mutter und legte eine Hand auf meinen Arm. »Okay, Remy?«
»Es wird höchste Zeit ...« Don zeigte mit einem Finger direkt in mein Gesicht. Und während ich auf seinen Wurstfinger starrte, verschwand alles um mich rum: Lissa neben mir, der flehentliche Blick meiner Mutter, der Duft dieser Sommernacht. »Höchste Zeit, dass dir je mand Respekt beibringt, Fräulein.«
»Remy.« Das kam von Lissa, beschwichtigend.
»Respektier du erst mal meine Mutter«, sagte ich zu Don. »An dieser Situation ist niemand schuld außer dir selbst, und das weißt du auch. Du hast deinen Schlüssel vergessen und dich ausgesperrt. Ende.«
Er stand einfach nur da und atmete schwer. Lissa wich Schritt für Schritt zurück, als könnte sie sich in Luft auflösen, wenn sie die Auffahrt nur weit genug hinunterging.
»Der Schlüssel, Remy«, wiederholte meine Mutter. Den Blick auf Don gerichtet zog ich meinen Schlüsselbund aus der Tasche und gab ihn ihr. Sie nahm ihn und ging rasch über den Rasen Richtung Haus. Don starrte mich noch immer an. Er glaubte wohl, ich würde nachgeben. Aber da irrte er sich gewaltig.
Plötzlich ging das Verandalicht an. Meine Mutter klatschte in die Hände. »Es ist offen«, rief sie. »Ende gut, alles gut!«
Don ließ den Krocketschläger fallen; er landete mit einem dumpfen Klacken auf dem Teerbelag der Auffahrt. Dann machte er auf dem Absatz kehrt, ging mit großen, wütenden Schritten aufs Haus zu, die Stufen hoch, an meiner Mutter vorbei. Er beachtete sie gar nicht, obwohl sie etwas zu ihm sagte, sondern verschwand in den Flur. Eine Sekunde später wurde irgendwo im Haus eine Tür zugeknallt.
»Schlimmer als ein Kind in der Trotzphase«, sagte ich zu Lissa, die mittlerweile am Briefkasten angekommen war und so tat, als würde sie das neue Namensschild betrachten: STARR/DAVIS.
»Er war echt stinksauer, Remy.« Vorsichtig kam sie wieder näher, als fürchte sie, Don könnte jeden Moment wieder durch die Haustür stürmen, bereit zur nächsten Runde. »Vielleicht hättest du dich einfach entschuldigen sollen.«
»Wofür?«, fragte ich. »Dass ich keine telepathischen Fähigkeiten habe?«
»Keine Ahnung. Aber es hätte die Sache vielleicht vereinfacht.«
Ich sah zum Haus hinüber. Meine Mutter stand im Eingang, die Hand am Türknauf, und blickte den Flur entlang zur Küche, in die Richtung, in die Don abgerauscht war. Die Küche war dunkel. »He«, rief ich. Sie drehte den Kopf. »Was hat er eigentlich für ein Problem?«
Anscheinend sagte er etwas; jedenfalls kam es mir so vor, als würde ich seine Stimme hören. Meine Mutter drehte mir den Rücken zu und zog die Tür zu sich heran. Und auf einmal fühlte ich mich ihr sehr fremd; als wäre der Abstand zwischen uns riesig, obwohl wir nur wenige Meter voneinander entfernt standen. Als hätte sich die Grenze, die mir immer so deutlich vor Augen gewesen war, plötzlich verschoben. Oder wäre vielleicht sogar nie da gewesen. Jedenfalls nicht da, wo ich sie vermutet
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