Zu cool für dich
hatte.
»Mom?«, rief ich. »Alles klar?«
»Mir geht’s prima. Gute Nacht, Remy.« Dann machte sie die Tür hinter sich zu.
»Ich sag’s dir, Jess, es war wirklich übel.«
Lissa, die mir gegenübersaß, nickte zustimmend. »Schlimm«, meinte sie. »Man konnte richtig Angst kriegen.«
Jess zog ihren Pulli fester um die Schultern und nahm einen Schluck von ihrer Cola. Wir waren nach dem Vorfall direkt zu ihr gefahren und hatten an ihr Fenster geklopft. Ich hatte nämlich absolut keinen Bock drauf, den Abend mit Don und seinen Ausrastern unter einem Dach zu verbringen. Und da war noch was – das eigenartigeGefühl, verraten worden zu sein. Als wären meine Mutter und ich ewig ein Team gewesen, aber jetzt auf einmal nicht mehr. Und zwar, weil sie es sich unverhofft anders überlegt hatte und übergelaufen war; weil sie mich auf die Seite geschoben und sich für jemand anderen entschieden hatte. Jemanden, der mir seinen Wurstfinger unter die Nase hielt und Respekt von mir forderte, den er sich noch nicht mal verdient hatte.
»Eigentlich ist so ein Verhalten völlig normal«, meinte Jess. »Er will beweisen, dass er der Herr im Haus ist. Patriarchengehabe in Reinkultur. Er spielt eben den Vater.«
»Er ist aber nicht mein Vater.«
»Es geht nur um Macht. Um die Führungsposition«, ergänzte Lissa. »Wie in einem Hunderudel. Er wollte dir klar machen, dass er der Alpha-Hund ist.«
Ich starrte sie an.
»Ich meine – natürlich bist
du
der Alpha-Hund«, fügte sie rasch hinzu. »Aber das weiß er noch nicht. Er testet dich.«
»Ich will kein Alpha-Hund sein«, knurrte ich. »Ich will gar kein Hund sein.«
»Komisch, dass deine Mutter sich so was bieten lässt«, sagte Jess nachdenklich. »Sie ist nicht der Typ, der sich so ein Benehmen gefallen lässt. Schließlich hast du diese Eigenschaft von ihr geerbt.«
»Ich glaube, sie hat Angst«, sagte ich. Die beiden sahen mich verwundert an. Ich wunderte mich selbst. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass ich diesen Gedanken dachte, bis ich ihn aussprach. »Ich meine, Angst vorm Alleinsein. Das ist immerhin ihre fünfte Ehe. Falls die auch nicht hält ...«
»... außerdem gehst du weg«, setzte Lissa meinen Gedankengang fort. »Und Chris steht selbst kurz vorm Heiraten ...«
Seufzend bohrte ich meinen Strohhalm tiefer durch den Deckel meines Colabechers.
»Sie denkt, er ist ihre letzte Chance. Deshalb muss sie dafür sorgen, dass es mit ihm funktioniert.« Lissa lehnte sich zurück, riss eine Tüte Smarties auf und steckte sich ein rotes in den Mund. »Wenn sie sich also entscheiden muss zwischen ihm und dir, dann entscheidet sie sich für ihn. Zumindest im Moment. Immerhin ist er derjenige, mit dem sie es noch ziemlich lange aushalten muss.«
Jess beobachtete mich, während ich Lissa zuhörte. »Willkommen im Erwachsenenleben«, sagte sie. »Ist genauso ätzend wie Schule.«
»Deshalb halte ich nichts von festen Beziehungen«, sagte ich. »So was belastet einen bloß unnötig. Warum lässt sie sich so ein kindisches Benehmen bieten? Etwa weil sie denkt, dass sie ihn braucht?«
»Vielleicht braucht sie ihn ja wirklich«, meinte Lissa gedehnt.
»Kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete ich. »Wenn er morgen ausziehen würde, hätte sie nächste Woche schon einen neuen Kandidaten, wetten?«
»Nein, ich glaube, dass sie ihn liebt«, meinte Lissa. »Und Liebe heißt, jemanden zu brauchen. Liebe heißt, auch die schlechten Eigenschaften eines Menschen zu ertragen, weil er etwas hat, das einem selbst fehlt.«
»Liebe ist eine Ausrede dafür, dass man sich allen möglichen Mist gefallen lässt«, entgegnete ich. Jess gluckste in sich hinein. »Das ist der Trick bei der Liebe.So legt sie einen rein. Das Urteilsvermögen wird getrübt, bis einem Sachen, die einen stören sollten, nichts mehr ausmachen, zumindest scheinbar. Liebe ist eine Mogelpackung. Eine Falle.«
»Also gut.« Lissa setzte sich aufrecht hin. »Dann lass uns mal über lose Schnürsenkel reden.«
»Bitte?«, fragte ich.
»Dexter«, antwortete sie. »Seine Schnürsenkel waren nie ordentlich zugebunden, stimmt’s?«
»Und was hat das mit unserem Thema zu tun?«
»Beantworte einfach meine Frage.«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich.
»Doch, du erinnerst dich noch genau. Und ja, sie waren nie ordentlich zugebunden. Außerdem herrschte in seinem Zimmer totale Unordnung, er war ein Chaot und er hat in deinem Auto gegessen.«
»Er hat in deinem Auto gegessen?«, wiederholte
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