Zu cool für dich
durch die Gegend schleppen. Deshalb legte ich die CD in eine leer geräumte Schreibtischschublade. Den Karton klebte ich allerdings nicht zu. Ich konnte meine Meinung also noch ändern, wenn ich wollte.
»Also, meine Damen«, sagte Lola und hielt die Sektflasche hoch. »Wer möchte noch einen Schluck?«
»Ich.« Talinga reichte Lola ihr Glas. »Und ein Stück Torte.«
»Du hattest genug Torte«, meinte Amanda.
»Ich hatte auch genug Sekt«, erwiderte Talinga. »Als ob mich das je von irgendwas abhalten würde.«
Gelächter. Das Telefon klingelte. Lola, die Flasche in der Hand, rannte hin, um abzuheben. Ich pflückte eine Zuckerrose von der Tortendeko und steckte sie in den Mund. Der Zucker schmolz auf meiner Zunge. Meine Mutter hatte darum gebeten, dass ich nicht zu viel aß, damit ich am Abend noch Appetit haben würde. Denn heute war auch das offizielle Remy-Abschiedsdinner mit meiner Familie. Ihre positive Stimmung, die sie aus Florida mitgebracht hatte, hielt nach wie vor an; sie schuftete schwer, um für Don die perfekte Ehefrau abzugeben. Ihr Roman war ins Schlingern und dann ins Stocken geraten. Wo Melanie wohl gerade steckte? Es sah meiner Mutter gar nicht ähnlich, einen Roman nicht zu beenden, vor allem nicht, wenn sie so kurz vor dem Ende stand. Ich machte mir deswegen fast Sorgen um sie. Aber jedes Mal, wenn ich dieses vage Unbehagen spürte,sagte ich mir, dass alles gut gehen würde mit ihr. Weil es einfach gut gehen musste.
Ich ging zum Schaufenster, nippte an meinem Sekt und sah hinaus. Die Tür zu
Flash Camera
stand offen. Ich presste meine Stirn an die Glasscheibe. Spürte den Sekt, den ich getrunken hatte.
Truth Squad
waren vor einigen Tagen zurückgekommen. Ich hatte Lucas aus der Ferne gesehen, als er vor
Mayor’s Market
stand und eine Tüte Kartoffelchips aß; aber ich war nicht zu ihm rübergegangen, um mich zu erkundigen, wie es in Washington gelaufen war. Seit dem Tag, an dem ich vom gelben Haus weggefahren und im Rückspiegel gesehen hatte, wie sie zusammen im Vorgarten hockten, war mir klar – klarer als je zuvor –, dass sie und ich nichts mehr miteinander zu tun hatten. Unsere Leben liefen komplett auseinander.
Dennoch musste ich immer wieder an Dexter denken. Er war das eine lose Ende, das noch übrig blieb. Und ich hasse lose Enden. Ich wollte meine Angelegenheiten geregelt hinterlassen. Und dabei ging es nicht um große Gefühle oder so. Ich wollte einfach nicht abreisen und gleichzeitig darüber nachgrübeln, ob ich das Bügeleisen oder die Kaffeemaschine ausgeschaltet hatte. Ich wollte die Sache aus dem Kopf haben, bevor ich von hier wegging. Es ging nur um meine mentale Ausgeglichenheit, sagte ich mir. War also notwendig.
Da sah ich ihn, durch die geöffnete Ladentür von
Flash Camera
. Ich erkannte ihn sofort an seinem schlendernden Gang. Auf in den Kampf, dachte ich. Perfektes Timing. Ich kippte den Rest Sekt runter und überprüfte meinen Lippenstift im Spiegel. Es würde unter Garantie ein sehr befriedigendes Gefühl sein, diesen allerletztenPunkt auf meiner Liste abzuhaken und trotzdem rechtzeitig zum Abendessen nach Hause zu kommen.
»Wo willst du hin?«, rief Talinga mir nach, als ich die Eingangstür öffnete. Amanda und sie hatten das Radio angedreht und tanzten barfuß durch den leeren Salon, während Lola sich mehr Torte nahm. »Du brauchst mehr Sekt, Remy! Wir feiern eine Party«, krakeelte Talinga weiter.
»Bin gleich wieder da«, antwortete ich. »Schenk mir schon mal ein.«
Sie nickte und schenkte sich selbst ein. Amanda gackerte. Sie ließ ihre Hüften so schwungvoll kreisen, dass sie gegen einen Ständer mit Nagellackfläschchen stieß, worauf die drei vor Vergnügen loswieherten. Die Tür fiel hinter mir zu, schnitt das Lachen ab. Ich lief in die Hitze hinein.
Mit schwirrendem Kopf überquerte ich den Parkplatz. Betrat den Fotoladen. Lucas stand hinter der Theke und bediente die Filmentwicklungsmaschine. Musterte mich kurz und meinte: »Hallo. Wann fängt der Ball an?«
Es dauerte etwas, bis mir klar wurde, dass er die Korsage meinte, die inzwischen eher kläglich an mir runterhing, als hätte sie auch schon ein bisschen zu viel Sekt getrunken. »Ist Dexter da?«
Lucas stieß sich mit seinem Stuhl von der Theke ab, rollte rückwärts auf eine Tür zu und steckte den Kopf in den angrenzenden Raum. »Dex!«, brüllte er.
»Was?«, brüllte Dexter zurück.
»Kundschaft.«
Im Rauskommen wischte Dexter sich die Hände am T-Shirt ab und setzte
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