Zu cool für dich
hat, sie soll sich endlich hinsetzen und warten, bis sie an der Reihe ist ...« Talinga und ihr Sektglas bebten vor Rührung um die Wette.
»Und auf das andere Mal, als sie die Frau des Richters aus der Trockenhaube befreit hat ...«, fügte Amanda hinzu.
»Und«, sagte Lola, lauter als die beiden anderen zusammen, »auf jeden Tag, an dem sie uns Chaoten zurechtgestutzt hat!«
Pause. Talinga schniefte ein bisschen vor sich hin und wischte sich ein Tränchen aus dem Auge – mit einem dunkelrot lackierten, sehr langen, perfekt manikürten Fingernagel.
»Auf Remy!«, verkündete Lola. Wir ließen unsere Gläser aneinander krachen, dass der Sekt nur so spritzte. »Mädchen, wir werden dich vermissen.«
Wir tranken. Das war alles, was wir seit mehr als zwei Stunden taten: uns zuprosten und trinken. Seit Lola um vier Uhr das GESCHLOSSE N-Schild an die Tür gehängt hatte, zwei Stunden früher als sonst. Damit wir meinen Abschied in großem Stil feiern konnten. Ein richtiger Arbeitstag war es sowieso nicht gewesen, denn Talingahatte mir eine Korsage mitgebracht und darauf bestanden, dass ich sie sofort anzog. Ich saß also den ganzen Tag an meiner Empfangstheke und nahm die üblichen Anrufe entgegen, sah dabei allerdings aus, als würde ich nur drauf warten, dass mein Begleiter für den Abschlussball in Daddys Wagen vorfuhr, um mich abzuholen. Aber die Korsage war eine echt nette Geste; genauso wie die Torte, der Sekt und der Umschlag mit dem Geld. Fünfhundert Dollar, alles meins.
»Für alles, was Spaß macht«, meinte Lola, als sie ihn mir in die Hand drückte. »Die wichtigen Dinge des Lebens.«
»Wie eine Maniküre«, fügte Amanda hinzu. »Oder sich die Augenbrauen in Form bringen lassen.«
Ich hatte einen Kloß im Hals, riss mich aber zusammen, da ich wusste, dass die anderen sonst ebenfalls losgeflennt hätten. Wer im
Joie Salon
arbeitete, war nah am Wasser gebaut, und das leidenschaftlich gern. Aber neben der Rührung bewirkten die Abschiedsgeschenke vor allem eins: Mir wurde klar, dass es wirklich geschah. Stanford war Realität. Der Sommer ging zu Ende. Mein wahres Leben begann. Versteckte sich nicht länger knapp hinterm Horizont, sondern kam endlich in Sicht. Näherte sich nicht mehr in Minischritten, sondern war da!
Die konkreten Anzeichen dafür häuften sich sowieso und waren gar nicht mehr zu übersehen. Ständig bekam ich Post vom College: Formulare und Listen, was ich mitzubringen hatte. In meinem Zimmer standen jede Menge Kartons, auf denen genau markiert war, welche ich mitnehmen und welche ich dalassen würde. Ich machte mir keine Illusionen darüber, was meine Muttermit meinem Zimmer anstellen würde, wenn ich weg war. Einen Wir-erinnern-uns-für-immer-an-die-gute-alte-Remy-Schrein würde sie garantiert nicht daraus machen. Im Gegenteil, sobald ich im Flugzeug saß, würde sie es für sich mit Beschlag belegen, würde sofort ausmessen, ob die neuen Regale, die sie anschaffen wollte, in meine ehemaligen vier Wände passten. Wenn ich das erste Mal wieder nach Hause kam, würde alles anders sein. Vor allem ich selbst.
Alle bereiteten sich auf den Start ins neue Leben vor, Lissa allerdings nur schweren Herzens. Dabei zog sie bloß von einer Ecke der Stadt in die andere. Konnte von ihrem Zimmerfenster auf dem Campus den Turm der Kirche sehen, die in unmittelbarer Nähe ihres Elternhauses lag. Jess hatte sich einen Job im Krankenhaus besorgt; sie würde in der Verwaltung der Kinderstation arbeiten und Mitte September mit Kursen am Abendkolleg anfangen. Chloe kaufte eifrig neue Klamotten und packte Kartons, die sie mit zu ihrem College nehmen würde. Es lag nicht sehr weit entfernt, aber weit genug, um sie mit männlichem Frischfleisch zu versorgen. Denn die Jungen dort würden erst einmal keine Ahnung von ihrem Ruf als berüchtigte Herzensbrecherin haben. Unsere Zwischenphase, die zu Beginn des Sommers endlos erschienen war, ging definitiv zu Ende.
Gestern Nacht hatte ich meinen Discman aus seinem Versteck im Kleiderschrank geholt, mich auf mein Bett gesetzt, die CD meines Vaters behutsam rausgenommen und in ihre Hülle zurückgesteckt. Den Discman wollte ich mitnehmen. Doch als ich die CD zu den anderen im Karton legen wollte, hielt mich irgendwas davon ab.Nur weil mein Vater das Gefühl in mich eingepflanzt hatte, dass Männer mich unweigerlich enttäuschen würden, musste ich ihm das doch nicht bis in alle Ewigkeit abkaufen, oder? Geschweige denn ein Souvenir dieses Gefühls mit mir
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