Zu cool für dich
Mutter. Und auch, wenn ich es nie zugegeben hätte, fand ich bei den Vorbereitungen genau die Ablenkung, die ich im Moment brauchte.
Am Anfang hatte Jonathan noch ein paarmal angerufen, aber nach einer Weile hörte auch das auf; er wusste ohnehin, dass Schluss war, und zwar endgültig. Chloe wurde nicht müde, mich darauf hinzuweisen, ich hätte bekommen, was ich wollte, nämlich meine Freiheit. Es war nur nicht ganz so gelaufen,
wie
ich wollte. Denn noch immer nagte es an mir, dass ich betrogen worden war. Dieses ätzende Gefühl ließ mich nachts aufwachen – und zwar so sauer, dass ich mich nicht einmal mehr an meine Träume erinnern konnte.
Zum Glück war da noch Lissa, um die ich mich kümmern musste; ich meine außer den Hochzeitsvorbereitungen. Sie verbrachte ihre Zeit mit totaler Verleugnung des Geschehenen und redete sich ein, dass Adam seine Meinung bald ändern würde. Immer wieder wollte sie spontan bei ihm anrufen, überraschend bei ihm zu Hause vorbeifahren oder »zufällig« in dem Schnellimbissauftauchen, wo er jobbte; mit vereinten Kräften konnten wir sie so gerade eben davon abhalten, diesen verderblichen Impulsen nachzugeben. Denn solche Aktionen machten – wie wir aus Erfahrung wussten – nach einer Trennung alles nur noch schlimmer. Nein, so was lief anders: Wenn er sie von sich aus sehen wollte, dann würde er sie auch von sich aus suchen. Und falls er sich tatsächlich mit ihr versöhnen wollte, musste er sich sowieso erst mal ein wenig anstrengen. Und sie ihn angemessen zappeln lassen. Und so weiter.
So verging die Woche. Auf einmal stand die Hochzeit tatsächlich unmittelbar bevor. Ich machte früher Schluss bei der Arbeit und fuhr nach Hause, um mich für das Probedinner umzuziehen. Schon an der Haustür merkte ich, dass alles so war, wie ich es am Morgen verlassen hatte, nämlich das reinste Chaos.
»Aber in dem Fall ist der Chauffeur unmöglich rechtzeitig hier!«, schrie meine Mutter ins Telefon, als ich hereinkam. »Dabei muss er unbedingt innerhalb der nächsten Stunde kommen, sonst schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig.«
»Mom«, rief ich, denn an ihrem schrillen Ton erkannte ich sofort, dass sie kurz vor dem Super-GAU stand. »Beruhige dich erst mal.«
»Ich verstehe, was Sie sagen.« Ihre Stimme klang immer noch schrill. »Aber es geht immerhin um meine Hochzeit.«
Ich warf einen Blick ins Wohnzimmer. Jennifer Anne saß auf dem Sofa, fertig gestylt für das Essen, und las ein Buch mit einer versonnen blickenden Frau auf dem Umschlag und dem Titel
Pläne verwirklichen, Träume verwirklichen
. Während sie umblätterte, sah sie zu mir hoch.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Der Abhol-Service hat Probleme.« Sie toupierte ihre Haare mit den Fingern. »Anscheinend war die eine Limousine in einen Unfall verwickelt. Und die andere steckt irgendwo im Stau fest.«
»Nein, das akzeptiere ich so nicht«, ertönte die gellende Stimme meiner Mutter.
»Wo ist Chris?«
Sie blickte zur Decke. »In seinem Zimmer«, erwiderte sie. »Offenbar ist irgendwas ausgeschlüpft.« Sie verzog leicht angewidert das Gesicht und vertiefte sich erneut in ihr Buch.
Mein Bruder züchtet Echsen. In einer Kammer neben seinem Zimmer hatte er eine Reihe Terrarien aufgebaut, in denen er Warane hielt. Die Viecher sind schwer zu beschreiben; jedenfalls haben sie gespaltene Zungen wie Schlangen und sind kleiner als Leguane, aber größer als Geckos. Sie fraßen winzige Grillen, die gerne und oft ausbüxten und sich im ganzen Haus verteilten, die Treppen rauf und runter hüpften oder aus den Schränken zirpten, wo sie sich in unseren Schuhen versteckten. Chris besaß sogar einen Brutkasten, der entweder auf dem Fußboden in seinem Zimmer oder in der Waranenkammer stand. Wenn Eier darin lagen, begleitete uns den ganzen Tag über das sanfte Klicken des Thermostats, der in sorgfältig abgestimmten Zyklen für die jeweils richtige Temperatur sorgte, damit die Echsenjungen auch groß und stark wurden, bevor sie ausschlüpften.
Jennifer Anne hasste die Warane. Sie waren der einzige Makel bei ihrem Chris-Projekt, das Einzige, das er ihretwegen nicht aufgab, das ihr und ihren beharrlichenVersuchen, aus ihm einen neuen Menschen zu machen, widerstand. Sie zog ihre Konsequenzen, indem sie niemals auch nur in die Nähe seines Zimmers ging, wenn sie bei uns war. Stattdessen saß sie auf dem Sofa oder am Küchentisch, las einen ihrer klugen Selbsthilfe-Ratgeber und seufzte dabei so laut und missbilligend,
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