Zu cool für dich
sie zu dem allmählich verklingenden Lied einen übertriebenen Fantasietango tanzten. Die Frau schniefte ein wenig vor sich hin. Ich merkte, dass sie den Tränen nah war. Komisch, dass Hochzeiten auf manche Menschen diesen Effekt haben.
»Er wirkt sehr glücklich, nicht wahr?«
»Ja, stimmt.«
Sie wischte sich kurz über die Augen, winkte entschuldigend ab und schüttelte den Kopf: »Entschuldige bitte, ich bin bloß ...«
»Ich verstehe schon«, unterbrach ich, hauptsächlich, um sie und mich vor dem, was sie als Nächstes gesagt hätte, zu bewahren. Ich hatte an dem Tag schon mehr Gefühlsduselei über mich ergehen lassen müssen, als ich verkraften konnte.
Endlich ging auch die letzte Strophe zu Ende. Marty/Patty atmete einmal tief durch und blinzelte ein wenig, als das Licht wieder heller wurde. Bei näherem Hinsehen merkte ich, dass sie tatsächlich geweint hatte, mit allem Drum und Dran: gerötete Augen, fleckiges Gesicht, verschmierte Wimperntusche. Die hatte sie leider sowieso etwas zu großzügig aufgetragen.
»Ich glaube, ich sollte ...« Sie betastete vorsichtig ihr Gesicht. »Ich gehe mich mal ein bisschen frisch machen.«
»Schön, dass Sie kommen konnten«, sagte ich, wie ich es an diesem Abend schon zu jedem gesagt hatte, und zwar immer im selben munteren Juchhu-wir-feiern-Hochzeit-Tonfall.
»Vielen Dank für das schöne Fest«, erwiderte sie, allerdings mit deutlich weniger Elan als ich. Dann drehte sie ab, wobei sie im Weggehen gegen einen Stuhl stieß.
Es reicht, dachte ich. Ich brauche dringend eine Pause. Ich lief an dem Tisch vorbei, auf dem die Hochzeitstorte aufgebaut war, und verkrümelte mich durch eine Hintertür auf den Parkplatz, wo zwei Kerle in Kellnerjackenherumstanden, rauchten und übrig gebliebenes Käsegebäck mümmelten.
»Hi, habt ihr mal eine Zigarette für mich?«
»Klar.« Der Größere der beiden gab sich betont cool, schüttelte eine Zigarette aus seiner Packung, hielt sie mir hin und gab mir Feuer. Ich inhalierte ein paar Male. Mit einer rauen Stimme, die er wohl für sexy hielt, fragte er: »Wie heißt du?«
»Chloe.« Ich trat einen Schritt zurück. »Danke.« Ging davon und verschwand um die nächste Ecke, obwohl er mir etwas nachrief. Ich stellte mich an die Wand bei den Müllcontainern, so dass sie mich verdeckten, schlüpfte aus den Schuhen und betrachtete die Zigarette in meiner Hand. Ich hatte so lang durchgehalten: achtzehn Tage! Sie schmeckte nicht mal richtig. Nur ein Moment der Schwäche an einem harten Tag. Ich warf sie weg, legte die Handflächen gegen die Mauer, streckte meinen Rücken und sah zu, wie die Zigarette verqualmte.
Im Saal hörte die Band auf zu spielen; spärlicher Applaus war zu vernehmen. Dann drang die übliche Hotelkonservenmusik aus den Lautsprechern. Wenige Sekunden später wurde eine Tür aufgerissen, knallte gegen die Mauer und die
G-Flats
kamen unüberhörbar auf den Hof.
»Dieser Gig ist so was von ätzend«, maulte der Gitarrist, zog eine Zigarettenpackung aus der Tasche und schüttelte sich eine in die Hand. »Dies ist unsere endgültig letzte Hochzeit. Ich schwöre euch, Leute, ich meine es ernst.«
»So was bringt aber Knete.« Schlagzeuger Ringo nahm einen Schluck aus seiner Mineralwasserflasche.
»Wenn’s wenigstens welche gäbe«, murrte der Keyboardspieler. »Die Mucke ist für lau.«
»Falsch!« Dexter fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Wir spielen für die Kaution, die Don hinterlegt hat. Oder habt ihr das schon vergessen? Wir schulden Don was, wisst ihr das etwa nicht mehr?«
Zustimmendes Gebrummel, gefolgt von einer länge ren Pause.
»Ich dudele einfach nicht gerne Fremdkompositionen runter«, meinte der Gitarrist schließlich. »Und ich sehe auch nicht ein, warum wir nicht wenigstens ein paar von unseren eigenen Songs spielen können.«
»Für dieses Publikum?«, entgegnete Dexter. »Komm auf den Teppich, Ted. Ich glaube nicht, dass Onkel Miltie aus Saginaw brüllend begeistert davon wäre, auf deine diversen Fassungen des Kartoffel-Lieds zu tanzen.«
»So heißt es nicht«, meinte Gitarren-Ted beleidigt. »Und das weißt du auch genau.«
»Frieden!« Der rothaarige Schlagzeuger machte eine beschwichtigende Geste. »Nur noch ein paar Stunden. Kommt, wir versuchen das Beste draus zu machen. Zumindest kriegen wir was zu essen.«
»Wir kriegen was zu essen?« Der Keyboarder bekam schlagartig bessere Laune. »Tatsache?«
»Hat Don jedenfalls gesagt«, antwortete der Schlagzeuger. »Falls genug
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