Zu cool für dich
Er sah mich an: »Ist das die zweite Ehe deiner Mutter?«
»Die fünfte«, antwortete ich. »Sie ist eine professionelle Heiraterin.«
»Ich schlage dich trotzdem«, erklärte er. »Meine Mutter ist schon zum sechsten Mal verheiratet.«
Zugegeben, ich war beeindruckt. Ich hatte bisher noch niemanden mit mehr Ex-Stiefvätern kennen gelernt. »Echt?«
Er nickte. »Aber ich glaube«, fügte er sarkastisch hinzu, »
diese
Ehe wird halten.«
»Die Hoffnung stirbt zuletzt.«
Er seufzte. »Vor allem bei meiner Mutter.«
»Dexter? Hast du genug zu essen bekommen?«, rief je mand hinter mir.
Er setzte sich aufrecht hin und antwortete mit lauter Stimme: »Ja, Ma’am, bestimmt. Danke.«
»Es gibt noch ein bisschen Huhn.«
»Nein, Linda, ich bin wirklich satt.«
»Okay.«
Ich sah ihn an. »Kennst du eigentlich jeden Menschen?«
Ein Achselzucken. »Nö, ich komme bloß schnell in Kontakt mit Leuten. Liegt wahrscheinlich an den vielen Stiefvätern. Immer wieder neue Beziehungen aufbauen müssen. Dadurch wird man irgendwie umgäng licher , finde ich.«
»Ja klar«, sagte ich.
»Man muss sich einfach auf das einlassen, was passiert. Was kann man sonst schon tun? Wenn ständig neue Leute auftauchen und wieder verschwinden, hat man keine Kontrolle über sein eigenes Leben. Also entspannt man sich einfach und nimmt die Menschen am besten so, wie sie sind. Du weißt doch, was ich meine.«
»Klar«, antwortete ich trocken. »Ich bin ein umgäng licher Mensch und lasse mich leicht auf jeden ein. Eine sehr zutreffende Beschreibung. Genauso bin ich.«
»Etwa nicht?«
»Nein, so bin ich nicht.« Ich stand auf, nahm meine Tasche. Meine Füße waren geschwollen, die Schuhe drückten. »Ich will nach Hause.«
Er stand auch auf und nahm sein Jackett, das über der Stuhllehne hing. »Sollen wir uns ein Taxi teilen?«
»Nein, danke.«
Wieder ein Achselzucken. »Okay, wie du willst.«
Ich ging zur Tür. Nahm an, dass er mir folgen würde. Doch als ich mich noch einmal umwandte, sah ich, dasser den Saal durch eine andere Tür verließ. Ich muss zugeben, dass ich überrascht war, wie schnell er aufgab – nachdem er mich so hartnäckig belagert hatte. Wahrscheinlich hatte der Schlagzeuger Recht gehabt: Es kam nur auf die Jagd als solche an. Jetzt, wo er mit mir alleine gewesen war und mich aus der Nähe betrachtet hatte, war ich wohl doch nichts Besonderes mehr. Was ich längst gewusst hatte.
Vor dem Gebäude parkte ein Taxi. Der Fahrer döste vor sich hin. Ich stieg ein, ließ die Schuhe von den Füßen gleiten. Wie ich auf der grünen Digitalanzeige vorne am Armaturenbrett erkennen konnte, war es exakt zwei Uhr morgens. Meine Mutter, in ihrem Hotelbett auf der anderen Seite der Stadt, schlief vermutlich tief und fest. Wahrscheinlich träumte sie gerade von der kommenden Woche, die sie auf St. Barth in der Karibik verbringen würde. Anschließend würde sie heimkommen, um ihren Roman zu Ende zu schreiben, ihren neuen Ehemann bei uns im Haus zu installieren und einen weiteren Versuch zu starten, Ehefrau zu sein, in der festen Überzeugung, dass es dieses Mal klappen würde.
Als das Taxi in die Hauptstraße einbog, erspähte ich rechts von mir im Park etwas, das sich bewegte. Dexter. Er lief auf eine Straße zu, die zwischen Reihenhäusern entlangführte, und stach in seinem weißen Hemd so deutlich aus der Dunkelheit hervor, als würde er leuchten. Dexter ging mitten auf der Fahrbahn; die Häuser auf beiden Seiten waren dunkel und still, alles schlief. Und während ich ihm nachsah, schien es einen Augenblick lang so, als wäre er der einzige Mensch auf der Welt, der wach war. Womöglich sogar der einzige, der noch lebte. Der einzige – außer mir.
Kapitel Fünf
G laub mir, Remy, er ist in Ordnung.«
»Lola, bitte!«
»Ich weiß, was du denkst. Aber du irrst dich. Wenn ich mir nicht sicher wäre, würde ich es dir niemals vorschlagen. Vertraust du mir nicht?«
Ich legte die Rechnungen, die ich gerade durchzählte, beiseite und sah zu ihr hoch. Sie lehnte an der Empfangstheke, das Kinn auf beide Hände gestützt. Einer ihrer Ohrringe – große goldene Kreolen – baumelte leicht hin und her und funkelte im Sonnenlicht.
»Keine Blinddates, Lola. Grundsätzlich nicht«, versuchte ich ihr zum wiederholten Mal klar zu machen.
»Es ist kein richtiges Blinddate, Süße. Ich kenne ihn.« Als wäre das ein Argument. »Ein wirklich netter Junge. Außerdem hat er schöne Hände.«
»Bitte?«
Sie hielt ihre –
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