Zu cool für dich
selbstverständlich perfekt manikürten – Hände hoch, als bräuchte ich konkretes Anschauungsmaterial dafür, wie dieser Teil der menschlichen Anatomie aussah. »Seine Hände. Sie fielen mir neulich auf, als er seine Mutter nach ihrem Meersalz-Ganzkör perpeeling abholte. Sehr schöne Hände. Er ist zweisprachig aufgewachsen.«
Ich überlegte angestrengt, worin der Zusammenhang zwischen schönen Händen und zweisprachigem Aufwachsen bestand. Aber ich kam auf nichts. Gar nichts.
»Lola?«, meldete sich vorsichtig eine Stimme aus dem Friseurbereich des Salons. »Meine Kopfhaut brennt?«
»Das ist normal. Nur die Farbe, die einwirkt.« Lola wandte beim Reden nicht einmal den Kopf, sondern sah mich durchdringend an: »Jedenfalls habe ich bereits in höchsten Tönen von dir geschwärmt, Remy. Und weil seine Mutter heute Nachmittag zur Pediküre kommt, dachte ich mir ...«
»Nein«, sagte ich brüsk. »Vergiss es.«
»Aber er wäre einfach perfekt!«
»Niemand ist perfekt.« Ich wandte mich erneut den Rechnungen zu.
»Lola?« Jetzt klang die Stimme aus dem Nebenraum schon nervöser. »Es tut wirklich weh ...«
»Möchtest du die wahre Liebe erleben, Remy?«
»Nein.«
»Mädchen, ich verstehe dich nicht! Du machst einen großen Fehler.« Lola wurde immer laut, wenn sie sich leidenschaftlich für etwas einsetzte. Ihre Stimme hallte durch meinen kleinen Empfangsbereich, dass die Nagellackfläschchen auf dem Regal über mir klapperten. Noch ein paar dieser gewaltigen Vokale und ich würde etwas auf den Kopf bekommen, mir eine Gehirnerschütterung einfangen und Lola genauso auf Schmerzensgeld verklagen können wie die Frau nebenan, deren Haar und Kopfhaut gerade weggeätzt wurden.
»Lola!«, schrie sie. Ihrem Ton zufolge würde sie jedenMoment in Tränen ausbrechen. »Ich habe das Gefühl, mein Haar riecht verbrannt ...«
»Verflucht noch mal!«, polterte Lola, die sich über uns beide gleichermaßen ärgerte, wirbelte herum und stapfte aus dem Raum. Ein Fläschchen mit dunkelrotem Nagellack knallte neben mir auf die Theke, wobei es mich nur um wenige Zentimeter verfehlte. Stöhnend öffnete ich den Terminkalender, der vor mir lag. Heute war Montag. In drei Tagen würden meine Mutter und Don von St. Barth zurückkehren. Ich blätterte die Seiten des Kalenders um und ließ meine Finger an den Tagen entlanggleiten, um zum wiederholten Mal zu zäh len , wie viele Wochen es noch dauerte, bis das Semester anfing und ich auf und davon sein würde.
Stanford. Dreitausend Meilen weit weg, fast in einer geraden Linie auf der entgegengesetzten Seite des Kontinents. Ein Spitzen-College, meine erste Wahl. Ich hatte mich bei insgesamt sieben Colleges beworben und war von sechs angenommen worden. Die elende Lernerei, die freiwilligen AGs, die Teilnahme an Sonderklassen für besonders qualifizierte Schüler – wenigstens hatte die Schinderei sich am Ende ausgezahlt.
Zu Beginn der Highschool, wenn so etwas in der Regel vorentschieden wird, gelangten meine Lehrer zu der festen Überzeugung, dass ich es mit viel Glück wohl gerade so auf ein staatliches College schaffen würde, wo man ja bekanntlich mehr feiert als studiert. Jedenfalls würde ich irgendwo landen, wo ich ein Larifari-Hauptfach wie Psychologie belegen konnte, mit Studentenpartys und Make-up als Nebenfächern. Als würde aus mir sowieso nichts werden, nur weil ich blond und einigermaßen attraktiv war, ein ziemlich reges Freizeit- undPartyleben führte (und, okay, nicht den besten Ruf hatte), mich nicht in den Debattierclubs oder der Schülervertretung engagierte. Deshalb schien ich in den Augen meiner Lehrer zu einem Dasein als Loser verdammt; man warf mich automatisch in einen Topf mit den Kaputten und den Versagern, bei denen es schon ein Wunder war, wenn sie nach der Pause den Weg zurück ins Schulgebäude fanden.
Aber ich bewies allen, dass sie sich in mir getäuscht hatten. Aus eigener Tasche bezahlte ich einen Physiknachhilfelehrer, denn in Physik haperte es tatsächlich ein bisschen, und den Vorbereitungskurs für die College-Aufnahmetests, den ich vorsichtshalber gleich dreimal hintereinander belegte. Aus unserer Vierer-Clique war ich außer Lissa die Einzige, die zu den Kursen für besonders qualifizierte Schüler überhaupt zugelassen wurde; und bei Lissa, deren Eltern beide promoviert hatten, ging ohnehin jeder davon aus, dass sie die Beste war. Mich sticht jedes Mal der Ehrgeiz, wenn etwas schwierig ist oder jemand denkt, ich schaffe es
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