Zu cool für dich
mir einfach.«
Ich schüttelte den Kopf. Woher sollte ich wissen, dass es diesmal anders sein würde? Es hätte leicht so ablaufen können wie immer: ich betrunken und allein auf einem dunklen Parkplatz. Mit einem Kerl, der mich anfasste. Und dann ... Wie oft hatte ich das schon erlebt! Kein Wunder, dass ich ein kaltes, hartes Herz hatte.
Und das gab mir den Rest. Obwohl ich deswegen stocksauer auf mich selbst war, flennte ich los und konnte nicht mehr aufhören. So viel Schwäche erlaubte ich mir sonst nur zu Hause, in meinem Wandschrank, wenn ich zu den Sternen hochstarrte, die Stimme meines Vaters im Ohr. Ich wünschte mir so sehr, dass er da wäre, obwohl ich wusste, wie bescheuert das war. Denn er hatte ja keine Ahnung, dass er kommen und mich retten sollte. Er sang es sogar selbst, in seinem Lied: Er hatte mich im Stich gelassen. Und trotzdem ...
»Remy«, sagte Dexter ruhig. Er berührte mich nicht, aber seine Stimme war sehr nahe bei mir und sehr sanft. »Ist okay. Nicht weinen.«
Später brauchte ich einen Moment, um mich daran zu erinnern, wie es passierte – ich meine, im Einzelnen. Ob ich mich umgedreht und als Erste auf ihn zugegangen war oder umgekehrt. Und vielleicht spielt es auch gar keine Rolle, ob er den ersten Schritt gemacht hatte oder ich. Ich wusste nur noch eins – er war da.
Kapitel Sieben
A ls ich aufwachte, weil Gitarrenmusik durch die Tür drang, war mein Mund trocken und mein Kopf pochte. Im Zimmer war es dunkel, aber ein Lichtstrahl fiel vom Türspalt quer durch den Raum auf das Fußende des Bettes, in dem ich lag.
Rasch setzte ich mich auf; alles drehte sich. Oh, mein Gott, was für ein vertrautes Gefühl. Nicht der Ort war mir vertraut, aber das Gefühl – in einem fremden Bett aufzuwachen, komplett orientierungslos. In Momenten wie diesem war ich heilfroh, dass außer mir niemand im Zimmer war und mitkriegte, wie ich schnell überprüfte, ob ich meinen Slip noch anhatte – ja – und meinen BH – ja –, und kurz überlegte, ob etwas passiert war – nein. Das hätte ich gewusst. Mädchen wussten so was. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Hilfe!
Okay, okay, befahl ich mir, denk nach. Ich sah mich nach irgendwas um, das mir helfen würde mich daran zu erinnern, was genau seit dem letzten Moment, an
den
ich mich erinnerte – ich und Dexter bei der Telefonzelle –, geschehen war. Links von mir befand sich ein Fenster; auf dem Fensterbrett standen – aha, anscheinend sammelte jemand Schneekugeln. Ein Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers war mit Klamotten bedeckt,neben der Tür stapelten sich jede Menge CDs. Am Fußende des Bettes lagen unordentlich hingepfeffert: meine Sandalen, mein Pulli, mein Geld, mein Ausweis. Hatte ich das etwa so da hingelegt? Bestimmt nicht. Schließlich kannte ich mich. Selbst in besoffenem Zustand hät te ich erst noch alles zusammengefaltet.
Plötzlich hörte ich jemanden lachen, dann leise Gitarrenakkorde.
»Du gabst mir eine Kartoffel ...«,
sang jemand. Erneutes Gelächter. »
Doch ich wollte eine Kumquat ... ich bat dich mich zu lieben ... und du sagtest
– Moment mal, ist das nicht mein Hüttenkäse?«
»Ich habe Hunger«, wandte jemand anderes ein. »Und sonst ist hier nichts außer Chutneysauce.«
»Dann iss Chutney«, sagte die erste Stimme, »aber lass die Finger von meinem Hüttenkäse.«
»Was hast du eigentlich für ein Problem?«
»Hausregeln, John Miller. Wer kein Essen einkauft, isst auch nicht. Basta.«
Eine Kühlschranktür wurde zugeknallt, einen Augenblick lang herrschte Stille, dann begann das Gitarrenspiel wieder. »Echt, wie ein kleines Kind«, meinte je mand . »Okay, wo waren wir?«
»Kumquat.« Die Stimme erkannte ich. Dexter.
»Kumquat«, wiederholte die andere Stimme. »Also?«
»Ich bat dich mich zu lieben«,
sang Dexter.
»Und du sagtest ›So what?‹«
Ich schob die Decke weg, stand auf, zog meine Sandalen an. Irgendwie fühlte ich mich dadurch sofort besser, so, als hätte ich alles besser im Griff. Stopfte meinen Ausweis in die hintere Jeanstasche, schlüpfte in den Pulli und setzte mich wieder hin, um nachzudenken.
Erster Tagesordnungspunkt: Uhrzeit. Keine Uhr weit und breit. Unter dem Bett, halb verdeckt von ein paar Hemden, lugte etwas hervor, das nach Telefonkabel aussah. In dem Zimmer herrschte wirklich das reinste Chaos. Ich wählte die Nummer für Temperatur und Uhrzeit, lauschte der Wettervorhersage für die nächsten fünf Tage
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