Zu cool für dich
früher war es sowieso normal gewesen, davon auszugehen, dass ich mit einem Typengeschlafen hatte, auch ohne explizite Nachfrage. Doch jetzt zögerte ich mit der Antwort, was irgendwie beunruhigend war.
»Nein«, sagte ich schließlich. Irgendwer sog scharf die Luft ein – Schock! Dann wurde es einen Moment ganz still.
»Wow!«, meinte Lissa schließlich. »Du magst ihn wirklich.«
»Ist echt keine große Sache«, erwiderte ich, allerdings ohne ihr ausdrücklich zu widersprechen, was zu neuerlichem, viel sagendem Schweigen führte, während die drei ebenso viel sagende Blicke wechselten. Wir waren draußen am Treff, die Sonne ging unter und das Trampolin unter mir vibrierte leicht. Ich lehnte mich zurück und spreizte meine Finger über das kühle Metall der Sprungfedern.
»Keine Große Rede, kein Sex«, fasste Jess zusammen. »Klingt gefährlich.«
Lissa suchte nach einer Erklärung. »Vielleicht ist er anders als die anderen.« Sie rührte ihren Drink mit dem Finger um.
»Niemand ist anders«, widersprach Chloe. »Und keine von uns weiß das besser als Remy.«
Es macht wohl ziemlich deutlich, wie eng ich mich bei meinen Affären an einen streng vorgegebenen Ablaufplan halte, dass meine besten Freundinnen feste Begriffe für die einzelnen Schritte hatten – wie Kapitelüberschriften. Die Große Rede kam in der Regel genau dann an die Reihe, wenn die romantische, verzückte Ich-habe-einen-neuen-Freund-Anfangsphase – die einfach nur Spaß machte – ihren Höhepunkt erreichte. Die Große Rede war meine Methode, vom Gas zu gehen, einpaar Gänge runterzuschalten. Meistens spielte es sich so ab, dass ich den Kerl zur Seite nahm und etwa nach dem Motto loslegte: Hey, ich mag dich wirklich und wir haben ja auch viel Spaß miteinander, aber ich kann mich nicht richtig auf dich einlassen, weil ich (bitte nach Belieben ergänzen) mit meiner Familie demnächst ans Meer fahre/mich ab Herbst echt auf die Schule konzentrieren muss/gerade erst eine Beziehung hinter mir habe und momentan eigentlich nichts Festes will. So ungefähr lautete die Große Rede für den Sommer; die für den Winter beziehungsweise die Weihnachtsferien war ziemlich ähnlich, nur dass ich andere Begründungen einfügte: Ich mache demnächst Skiurlaub/muss echt noch büffeln bis zum Abschlusszeugnis/habe wegen der Feiertage elend viel mit der Familie um die Ohren. Normalerweise reagierten die Typen auf zwei unterschiedliche Arten. Wenn sie mich wirklich mochten, ich meine, emotional, mit allem Drum und Dran, und mir am liebsten einen Freundschaftsring geschenkt hätten, dann machten sie nach der Großen Rede verschreckt einen Rückzieher. Was auch okay war. Wenn sie mich zwar mochten, aber bereit waren, das Ganze weniger leidenschaftlich anzugehen, die Grenzen zu akzeptieren, stimmten sie zu und wahrten das Gesicht, indem sie behaupteten, ihnen ginge es ähnlich. In dem Fall hatte ich dann die Freiheit weiterzumachen, den nächsten Schritt zu tun. Und dazu gehörte meistens mit ihnen zu schlafen – worauf ich wirklich nicht stolz bin.
Aber ich ging mit niemandem mehr schnell ins Bett. Niemals, nicht mehr. Es war mir lieber, ich hatte schon etwas Zeit in ihn investiert, ein paar seiner Macken entdeckt und jeden abgeschossen, mit dem ich es länger fristig sowieso nicht ausgehalten hätte. Mit längerfristig meine ich alles jenseits der bereits bekannten sechs Anfangswochen, also alles, was über die Ich-habe-einen-neuen-Freund-Phase (die, die Spaß macht) hinausgeht.
Früher war ich also leicht zu haben gewesen. Jetzt war ich wählerisch. Wow, was für ein Unterschied!
Aber irgendwas an Dexter war einfach anders. Jedes Mal, wenn ich versuchte nach Plan vorzugehen, hielt mich innerlich etwas davon ab. Wahrscheinlich konnte ich ihm die Große Rede halten und es hätte ihn nicht wesentlich erschüttert. Ich konnte mit ihm schlafen und es wäre okay – bestimmt sogar sehr okay – für ihn gewesen. Doch tief unten in meinem Bewusstsein vergraben nagte das leise Gefühl in mir, dass er dann mög licherweise schlechter über mich denken würde. Oder so. Und dabei wusste ich genau, wie dämlich das war.
Wenn ich genauer drüber nachdachte, lag es vermutlich nur daran, dass ich einfach zu viel um die Ohren hatte. Ja, das war der eigentliche Grund.
Chloe öffnete ihre Mineralwasserflasche, nahm einen Schluck und jagte einen weiteren hinterher – aus dem Whiskeyfläschchen, das sie in der anderen Hand hielt. »Was läuft da
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