Zu cool für dich
Aus dem Wohnzimmer ertönte lautes Getöse: John Miller versuchte in der Dunkelheit einen Weg durch den Raum zu finden.
Es war nicht mein Problem. Bestimmt nicht. Trotzdem konnte ich mir nicht verkneifen darauf hinzuweisen: »Aber die Lichter im Nachbarhaus sind an.«
Dexter lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und warf einen Blick durchs Fenster. »Stimmt«, sagte er. »Sehr interessant.«
Lucas schälte noch eine Mandarine. John Miller erschien im Türrahmen. Seine blasse Haut hob sich leuchtend gegen die Dunkelheit ab. »Das Licht ist aus«, verkündete er, als wären wir blind und er müsste uns extra drauf hinweisen.
»Vielen Dank, Einstein«, brummte Lucas.
Dexter kam jetzt zu dem Schluss: »Ein Kabelproblem. Bestimmt sind die Leitungen uralt.«
John Miller durchquerte die Küche. Ließ sich aufs Sofa plumpsen. Ein, zwei Minuten lang sagte niemand etwas. Mir dämmerte allmählich, dass der Stromausfall für die drei anscheinend kein großes Problem war. Kein Licht? Das störte keinen großen Geist.
»Habt ihr eventuell eure Rechnung nicht bezahlt?«, fragte ich Dexter schließlich.
»Rechnung?«
»Eure Stromrechnung.«
Pause. Dann: »Mist! Die verfluchte Stromrechnung.«
Das kam von Lucas
»Wir haben sie aber bezahlt«, meinte John Miller. »Sie lag da drüben. Gestern habe ich sie noch gesehen.«
Dexter warf ihm einen Blick zu. »Hast du sie gesehen oder haben wir sie bezahlt?«
»Beides?«, antwortete John Miller. Lucas stöhnte angenervt.
Ich stand auf. Irgendwer musste irgendwas tun, so viel war klar. »Wo lag sie?«, fragte ich John Miller. »Wo genau, meine ich?«
»Da drüben.« Er hob die Hand, um irgendwohin zuzeigen, aber in der Dunkelheit konnte ich die Richtung nicht erkennen. »In der Schublade, wo wir alle wichtigen Sachen aufbewahren.«
Dexter zündete mit dem Feuerzeug eine Kerze an, trug sie zur Küchenkommode, öffnete die Schublade und wühlte in dem Krempel rum, den die vier Jungs für »wichtig« hielten. Dazu gehörten unter anderem: einige Plastiktütchen Sojasauce, eine Hula-Hoop-Figur fürs Armaturenbrett und Streichholzschachteln aus praktisch jedem Kiosk und jeder Kneipe der Stadt.
Ach ja, und tatsächlich auch ein paar Zettel und Briefumschläge. Dexter hielt einen Brief hoch und fragte: »Der hier?«
Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand und kniff die Augen zusammen, um im Kerzenlicht lesen zu können. »Nein«, antwortete ich gedehnt. »Das ist eine Mahnung, in der steht, wenn ihr eure Elektrizitätsrechnung nicht bis – lass mal sehen – gestern bezahlt habt, wird der Strom abgestellt.«
»Wow«, meinte John Miller. »Wie konnten wir das nur übersehen?«
Ich drehte das Blatt um. Auf der anderen Seite klebten ein paar Pizza-Coupons, von denen einer halb abgerissen und die übrigen mit einem leichten Fettfilm überzogen waren. »Keine Ahnung«, sagte ich.
»Gestern«, meinte Lucas nachdenklich. »Sie haben uns also einen halben Tag geschenkt. Echt großzügig.«
Ich sah ihn nur stumm an.
»Okay«, meinte Dexter fröhlich. »Wer von uns war dran damit, die Stromrechnung zu bezahlen?«
Schweigen. Dann meinte John Miller probeweise: »Ted?«
»Ted«, sagte Lucas.
Und Dexter: »Ted.« Griff sich das Telefon, wählte energisch und wartete, wobei er mit den Fingern auf den Tisch trommelte. »Hi, Ted, hallo, hier ist Dexter. Rate mal, was ich gerade mache.« Er hörte einen Moment lang zu. »Nein. Es ist stockfinster. Ich sitze im Dunkeln. Wolltest du nicht die Stromrechnung bezahlen?«
Ich konnte hören, wie Ted antwortete. Er sprach ziemlich schnell.
»Ich war kurz davor, das Wort rauszukriegen«, brüllte John Miller. »Ich brauchte nur noch ein L oder ein V!«
»Und wen interessiert das?«, sagte Lucas zu ihm.
Während er Ted zuhörte, der anscheinend noch kein einziges Mal Luft geholt hatte, gab Dexter gelegentliche Mmh-Laute von sich; schließlich meinte er: »Alles klar, bye.« Und legte auf.
»Und?«, fragte Lucas.
»Ted hat alles im Griff«, verkündete Dexter.
»Und das heißt?«, fragte ich.
»Das heißt, er ist stinksauer, weil offenbar doch ich dran war.« Er grinste. »Wer hat Lust auf eine Gespenstergeschichte?«
»Echt, Dexter«, sagte ich. Mein Magengeschwür meldete sich leise. Diese Form von Unverantwortlichkeit machte mich buchstäblich krank. Lucas und John Miller hingegen schienen dran gewöhnt zu sein. Keiner von beiden war sonderlich nervös oder erstaunt.
»Es ist alles okay«, meinte Dexter. »Ted hat das Geld, er wird
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