Zu cool für dich
schwarzem Rand und kleinen Gläsern, gerade spießig genug, um schon wieder cool zu sein. Sie hatte ihr langes Haar zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden, und als sie an die Bar trat, um sich etwas zu trinken zu bestellen, hörten die Typen, die sich mit meinen Freundinnen unterhielten, auf zu reden und starrten sie an. Das Lied klang aus. Immer mehr Leute drängten vor die Bühne. Ted warf einen Blick Richtung Bar, bemerkte sie und raunte Dexter etwas zu.
Nachdem der Applaus und die Pfiffe aufgehört hatten, zupfte Dexter an seinem Kragen und sagte: »Okay,Leute, wir spielen jetzt eine Nummer für euch mit dem Titel
Kartoffel-Song
.«
Die Leute jubelten. Die Band trat mittlerweile schon so lang im
Bendo
auf, dass die diversen Songs des
Kartoffel-Opus
allmählich populär geworden waren. Ted spielte das Intro, John Miller erhob seine Stöcke – dann legten sie los.
Ich ließ die Frau an der Bar nicht aus den Augen. Beim Zuhören trank sie ab und zu einen Schluck aus ihrem Bierglas. Bei der Zeile mit der Veganerprinzessin lä chelte sie, und sie lächelte noch einmal, als das Publikum mitsang und
Potato-Mädchen
brüllte. Als der Song vorbei war, klatschte sie begeistert, nicht nur höflich. Ein gutes Zeichen.
Die Jungs hatten ihr Selbstbewusstsein wiedergewonnen und spielten noch einen
Kartoffel-Song
. Aber der war nicht so stark wie der erste; außerdem kannten die Leute ihn nicht so gut. Sie spielten nicht schlecht, im Gegenteil, sie gaben ihr Bestes. Trotzdem klang das Ganze etwas lahm. Und dann kam John Miller, der den Song erst vor kurzem zum ersten Mal mitgeprobt hatte, sogar für einen Moment aus dem Takt, was richtig blöd war. Dexter zuckte nervös zusammen und fummelte natürlich wieder an seinem Hemdkragen rum. Ted blickte überallhin außer in Richtung Bar. Übergangslos spielten sie noch eines von ihren eigenen Liedern. Zwar keinen weiteren
Kartoffel-Song
, aber irgendwie kamen sie trotzdem nicht rein. Auch dieses Lied klang so daneben, dass sie sich die dritte Strophe sparten und schon nach der zweiten aufhörten.
Die
A&R
-Frau hörte nicht mehr so konzentriert zu, wirkte fast gelangweilt. Guckte kreuz und quer durch dieGegend, schließlich sogar auf die Uhr. Sehr schlechtes Zeichen. Ted beugte sich zu Dexter und sagte etwas, worauf Dexter rasch den Kopf schüttelte. Doch da trat Lucas einen Schritt vor und nickte vehement. Ted sagte noch etwas. Dexter zuckte schließlich die Achseln, wandte sich wieder zum Mikrofon. John Miller verfiel in einen fetzigen Rhythmus, Ted stieg ein. Und unvermittelt legten die vier mit voller Kraft los. Ein Oldie von
Thin Lizzy
. Plötzlich waren die Leute hellwach, versammelten sich wieder vor der Bühne. Und nach der ersten Strophe bestellte die
A&R
-Tante sich noch ein Bier.
Als das Lied vorbei war, redete Ted erneut mit Dexter. Der zögerte. Ted sagte noch etwas. Dexter verzog das Gesicht, schüttelte den Kopf.
Tu’s einfach, dachte ich. Noch ein Coversong wird euch nicht umbringen.
Dexter sah Lucas an. Der nickte. Ich atmete auf. Dann ertönten die einleitenden Akkorde. Sie klangen vertraut, aber ich erkannte sie nicht. Ich hörte weiter zu. Was für ein Lied war das bloß? Es lag mir auf der Zunge, obwohl ich noch nicht hätte sagen können, wie der Song hieß. Und dann – kapierte ich plötzlich.
»Ein Wiegenlied«,
sang Dexter,
»aus wenig Worten ...«
Nein, dachte ich, bitte nicht.
»Aus ein paar einfachen Akkorden ...«
Es klang anders als sonst. Der Kitschaspekt, der es zum Hochzeitshit und Radio-Dauerbrenner gemacht hatte, war irgendwie gebrochen. So, wie die Jungs es jetzt interpretierten, klang es eher wie lässige Barmusik. Und es hatte eine zusätzliche, selbstironische Qualität; als würde es sich selbst nicht ganz ernst nehmen oder die Ernsthaftigkeit der Worte mit einem Augenzwinkernkommentieren. Mein Magen sackte bis in die Kniekehle. Er wusste, was der Song für mich bedeutete, was ich dabei fühlte. Wusste es genau. Trotzdem sang er weiter.
»Still ist es in dem kahlen Raum, und doch wirst du es hören
...
«
Die Leute fuhren voll darauf ab. Einige jubelten und klatschten. Ein paar Mädchen in der letzten Reihe legten die Hände aufs Herz und sangen voller Inbrunst mit, wie abgehalfterte Stars in einer geschmacklosen Fernsehshow.
Ich warf einen Blick Richtung Bar. Chloe sah mich an, aber nicht mit Schadenfreude, sondern irgendwas Schlimmerem. Mitleid? Ich wandte den Kopf rasch wieder ab, bevor ich es erkennen
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