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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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gemacht. Menschen sind in großer Gefahr, nicht Franzosen oder Engländer. Nur Menschen, die alle dasselbe wollen: den nächsten Tag überleben.«
    Hayden legte sich wieder hin, weil er sich nicht mehr halten konnte. Seine Hände gehorchten ihm nicht mehr, sodass er nichts anderes tun konnte, als die Handgelenke abzuknicken und Halt an der Kante des Floßes zu suchen. An der linken Hand hatte er eine Schnittwunde. Ein Rinnsal Blut war ihm über die Hand gelaufen, halb weggewaschen vom Salzwasser. Schmerz empfand er keinen.
    Gould richtete sich noch einmal auf, um nach den möglichen Rettern Ausschau zu halten, ehe er auf den Planken zusammenbrach. Er hatte die Augen zugekniffen, und obwohl man nicht zwischen Tränen und sprühender Gischt unterscheiden konnte, glaubte Hayden, dass der Junge von einem Weinkrampf geschüttelt wurde.
    »Sind Sie verletzt, Gould?«, wisperte Hayden.
    Der Junge schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Das Boot – es wird uns nie erreichen. Wir werden weggespült.«
    Noch einmal stemmte sich Hayden auf die Hände. Sofort entdeckte er das Boot, das größer wirkte. Trotzdem hatte der Midshipman recht: Das Floß trieb weiter nach Süden ab, und zwar schneller, als das Boot aufzuholen vermochte. Sosehr die Männer auch ruderten, der Kurs des Bootes würde sich nie mit dem der Schiffbrüchigen schneiden.
    Im selben Moment gewahrte Hayden, wie das Boot die Richtung änderte und südlicher trieb. Er blieb in dieser Position, bis ihn eine Welle erfasste und beinah über die Planken gespült hätte. Zwei Franzosen packten ihn an den Beinen und verhinderten Schlimmeres.
    Hayden murmelte Dankesworte, aber die beiden Franzosen schauten unbeirrt zum Boot hinüber, begannen dann zu rufen und flehten die Männer an den Riemen an, weiter aufzuschließen. Hayden glaubte zwar nicht, dass man die beiden auf die Entfernung hören konnte, aber das hinderte die Franzosen nicht daran, ihrer Hoffnung weiter mit Rufen Ausdruck zu verleihen.
    Hayden spürte, dass er kaum noch in der Lage war zu sprechen. Sein Mund war völlig ausgetrocknet, die Zunge wirkte geschwollen, die Lippen waren aufgerissen. Mühsam zog er sich wieder zurück, bis er zwischen Gould und Archer lag.
    »Tut uns leid, Sir«, krächzte der Leutnant. »Wir hätten Sie besser festhalten müssen.«
    »Was ja kaum noch möglich ist, Mr Archer, wenn man die Finger nicht mehr richtig bewegen kann. Machen Sie sich jetzt keine Vorwürfe.«
    Archer nickte dankbar.
    »Wird das Boot es bis zu uns schaffen, Sir?«, lautete seine bange Frage.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht. Wir driften langsam ab, und die Männer dort rudern. Aber sie können nicht mit der ganzen Länge des Bootes nach Süden steuern, da die Wellen das Boot zum Kentern bringen würden. Deshalb bewegen sie sich wie eine Krabbe in unsere Richtung. Das macht sie aber langsamer. Bald wissen wir, wie viel Kraft in ihnen steckt, und ob sie den Willen haben, uns einzuholen.«
    »Ich hoffe, sie wachsen über sich hinaus, Sir.«
    Hayden fiel erneut in einen Zustand von Lethargie. Traumfetzen und Bruchstücke der Realität vermischten sich und brachten Bilder hervor, die er nicht zu deuten vermochte. Die rauen Planken unter seiner Wange waren kalt und rutschig, aber all das registrierte er kaum noch. Er hätte auf spitzen Felsen liegen können, er hätte es nicht wahrgenommen.
    Von Ferne drang ein Ruf bis zu seinem Bewusstsein, aber Hayden glaubte, der Laut stamme aus seiner Traumwelt. Wieder rief jemand, laut und deutlich auf Französisch.
    »Sir?« Gould berührte ihn am Arm. »Sir? Haben Sie das gehört?«
    Hayden rappelte sich auf, verwirrt und desorientiert. Der Tag verging schleppend – es mochte Nachmittag sein. Und der Wind schien nachzulassen. Der Sturm hatte sein Werk getan und die Droits de l’Homme zerstört. Etwa dreißig Yards entfernt sah er, wie das französische Boot einen Wellenkamm nahm. Die Männer an den Riemen ruderten wie Besessene, aber die Schlagzahl hatte merklich nachgelassen.
    Taumelnd zwang Hayden sich in eine kniende Position und versuchte abzuschätzen, wie viele große Wellen ihnen noch bevorstanden. Das Meer beruhigte sich tatsächlich, und auch wenn größere Wellen heranrollten, so waren sie nicht mehr steil. Mit Mühe hielt er sich auf den Knien und beobachtete wie abwesend, wie ihnen das Boot folgte. Eine Weile sah es so aus, als würde es aufholen, doch dann glaubte er, es sei zurückgefallen. Langsam sackte er auf die Hacken und schlang beide Arme um den

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