Zu feindlichen Ufern - [3]
dem Sie vertrauen und der Sie aufnehmen könnte?«
»Das kann ich von keinem verlangen …« Sie schaute zu Boden, hielt sich eine Hand an die Stirn. Dann ließ sie die Hand sinken und sah Hayden in die Augen. »Es gibt nur eine Möglichkeit, Capitaine Mercier …« Doch ihre Stimme versagte.
»Ja? Was für eine Möglichkeit ist das?«
Sie holte tief Luft und atmete zittrig aus. »Man wird mich nicht aufs Schafott bringen, Monsieur … « Sie schien den Mut verloren zu haben, weiterzusprechen, und rang nach Luft. Schließlich flüsterte sie so leise, dass Hayden die Worte kaum verstand, »… wenn ich ein Kind erwarte.«
Sie konnte ihm nicht länger in die Augen sehen und senkte den Blick. Ein Schluchzen entwich ihr, doch sie versuchte es zu unterdrücken. Schließlich legte sie ihm leicht eine Hand auf die Brust und schaute vorsichtig auf. »Niemand sonst könnte mir jetzt noch helfen. Ich kann kaum – einen Bediensteten fragen. Diskretion ist oberstes Gebot.« Sie schloss die Augen einen Moment lang. »Die Jakobiner werden wiederkommen. Wahrscheinlich schon morgen. Eine Zuflucht habe ich nicht. Wenn sie kommen, um mich zu holen, bin ich verloren. Mir bleibt nur dieser eine Ausweg – ein Kind zu erwarten. Verstehen Sie? Meine einzige Chance am Leben zu bleiben.« Die Tränen nahmen Überhand. »Ich habe eine kleine Tochter …« Sie konnte nicht weitersprechen, und ihre Stimme versank in leisem Weinen. Sie hielt sich beide Hände vors Gesicht.
»Scht.« Hayden nahm ihre Hände in seine und führte Madame Adair langsam zu seinem Bett. Er brauchte nicht lange, um zu einer Entscheidung zu finden. Sein Entschluss hatte nichts mit körperlichem Verlangen zu tun, nichts mit dem Wunsch, diese Frau zu erobern. Er verspürte keine aufkeimende Liebe. Doch er schuldete ihr großen Dank und fühlte, dass er der Frau zugeneigt war. Überleben stand an erster Stelle. Die Jakobiner würden sie ermorden – ohne Grund –, und diesen Gedanken konnte er nicht ertragen.
Sie zögerte einen Moment, ehe sie ihren Morgenrock ablegte und nur noch ein dünnes Nachthemd am Leib trug. Unsicher krochen sie ins Bett, betreten und verlegen und immer noch verängstigt von den Vorkommnissen der Nacht. Zunächst waren sie wie gelähmt vor Angst, doch dann schmiegten sie sich aneinander und hielten einander umfangen, bis das Verlangen in ihnen anwuchs. Schließlich führte sie ihn, gab ihm zu verstehen, sich auf sie zu schieben, und zog ihr Nachthemd hoch. Im matten Mondschein verschwanden ihre Kummerfalten, und sie wirkte weniger besorgt und müde, als gäbe der Mond ihr die Jugend zurück. Es war ein sanftes, vorsichtiges Liebesspiel, doch bald grub sie ihm ihre Finger in den Nacken, stöhnte leise an seinem Ohr und wisperte Zärtlichkeiten in ihrer Muttersprache.
Später lag sie auf ihm, und ihr Haar kitzelte sein Gesicht.
»Einen Moment kann ich noch verweilen«, wisperte sie. »Lass mich nicht einschlafen.«
Sie wollte sich nicht schnell von ihm lösen.
Hayden dachte daran, dass alles in seinem Leben unsicher war, doch hier fand er einen Augenblick der Zufriedenheit, wenn nicht gar Sicherheit. Beide wollten sie sich an diesen Augenblick klammern und wünschten, es möge immer so bleiben. Denn wer vermochte schon zu sagen, was der nächste Tag bringen würde?
Der Wind lispelte in den Zweigen der Weiden und wehte leicht durch die offenen Fensterläden. Die Nachtigall hob an zu singen und schenkte ihre Melodie den Sternen hoch droben, die weit entrückt über allem Streit und Leid der Menschen standen.
K APITEL ZWÖLF
Mrs Carthew, die ihre Töchter nicht zu Unentschlossenheit erzogen hatte, sorgte dafür, dass alle anderen den Salon verließen, bis nur noch Elizabeth da war. Rasch holte man die alte Kinderfrau, die alle Mädchen gepflegt hatte, als sie mit Kinderkrankheiten im Bett lagen. Seither waren alle der Meinung, die Frau habe heilende Hände. Das Abendessen war vergessen, Henrietta brachte man auf ihr Zimmer, und der Rest der Familie verzog sich in verschiedene Winkel des Hauses, mal zu zweit, mal allein. Ein jeder verarbeitete die Nachricht auf seine Weise, entweder in betroffenem Schweigen oder im Flüsterton.
»Gott sei Dank war es nicht Kapitän Hertle!«, hörte man die Carthew-Schwestern ein ums andere Mal leise ausrufen.
Einige Zeit später stürmte Penelope in die Bibliothek und fand Elizabeth beim Kaminfeuer. Der Brief ihres Mannes lag auf einem kleinen Beistelltisch.
»Es ist ein Brief von ihm!«, platzte
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