Zu feindlichen Ufern - [3]
Penelope heraus.
»Von welchem Brief sprichst du?«
»Von dem Brief, den Sandra und Anne vor mir geheim gehalten haben. Er ist von ihm – von dem, der gestorben ist.« Vage deutete sie auf Elizabeths Brief.
»Du meinst von Kapitän Hayden?«
»Ja, genau von dem. Henriettas Marine-Mann. Ich habe gehört, wie sie geflüstert haben. Sie meinten, sie würden den Brief verbrennen.«
»Bist du dir sicher, Penelope?«
»Ja. Zumindest ziemlich sicher.«
Das ließ Elizabeth aufhorchen. »Und wo sind die beiden jetzt?«
»Im kleinen Salon. Wohin sich Mama oft zurückzieht.«
»Ich werde zu ihnen gehen – allein.«
Enttäuschung zeichnete sich in Penelopes Miene ab. Es war klar, dass sie mit ansehen wollte, wie ihre älteren Schwestern, die die kleine Pen nicht in ihr Geheimnis eingeweiht hatten, ihre wohlverdiente Strafe erhielten.
Elizabeth überlegte, ob sie Penelope noch verdeutlichen sollte, wie unschicklich es sei, andere zu belauschen, unterließ es aber, da sie möglichst schnell mit Anne und Cassandra sprechen wollte, ehe irgendein Brief Opfer der Flammen würde.
Tatsächlich waren Cassandra und Anne in dem kleinen Salon. Sowie Elizabeth hereinkam, richtete Anne hastig ein Kissen. Die beiden jungen Frauen hätten nicht schuldbewusster dreinblicken können.
Elizabeth wusste indes nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. Lieber wäre es ihr gewesen, die Mädchen hätten ihr unaufgefordert erzählt, was vorgefallen war. Wenn sie die beiden nun zur Rede stellte, würden sie sich gewiss an der Informantin rächen – sie bräuchten nicht lange zu überlegen, wer das Geheimnis ausgeplaudert hatte.
»Ist irgendetwas?«, erkundigte sich Mrs Hertle möglichst neutral. »Ihr beide seht aus, als würde man euch ins Exil schicken. Jetzt sagt mir nicht, dass es noch weitere schlechte Nachrichten gab …«
Nach kurzem Schweigen ergriff Cassandra das Wort. »Wir haben etwas getan, was wir vielleicht besser hätten lassen sollen …«, bekannte sie mit leiser Stimme.
»Du liebe Güte«, meinte Elizabeth. »Und was für eine Schreckenstat wäre das?«
Die beiden Schwester tauschten Blicke. »Vor ein paar Tagen kam ein Brief – für Henrietta. Er war von Kapitän Hayden, aber da wussten wir ja noch nicht, dass er tot ist. Wir brachten den Brief aus der Stadt mit, wo wir die Post abgefangen hatten – und nach einigen Diskussionen beschlossen wir, ihn an uns zu nehmen.«
»Ihn an euch zu nehmen?«
»Ja, wir hielten ihn unter Verschluss und sagten es niemandem …« Cassandra errötete.
»Wir wussten, dass du Kapitän Haydens Brief verbrannt hattest und dachten – nun, wir dachten, dass ein Brief von einem ehrlosen Schurken nichts enthalten könnte, das Henrietta erfreuen würde. Wir dachten, dass der Brief sie nur noch unglücklicher machen würde. Und da sie sich ja so gut mit Frank versteht, von dem wir beide glauben, dass er der Richtige für …«
»Ihr habt den Brief doch nicht verbrannt – oder?«, unterbrach Elizabeth sie forsch.
Unaufgefordert zog Cassandra den Brief unter dem Kissen hervor und legte ihn in die Hand ihrer Cousine.
»Du hast doch selbst gesagt, dass du Kapitän Haydens Brief verbrannt hast und nicht lesen wolltest«, wiederholte Anne leicht trotzig.
»Das stimmt ja auch, aber der Brief, den ich verbrannt habe, war an mich adressiert. Wäre er an Kapitän Hertle adressiert gewesen, hätte ich ihn dem rechtmäßigen Empfänger ausgehändigt.«
»Glaubst du, wir haben uns falsch verhalten?«
»Eure Absicht mag gut gewesen sein, kein Zweifel, aber trotzdem denke ich, dass es nicht richtig war, den Brief zurückzuhalten. Was für eine Wirkung der Brief auch auf Henri haben mag, es ist ihre Entscheidung, ob sie die Zeilen liest oder nicht.«
»Wirst du ihr den Brief denn geben?«, wollte Anne wissen.
»Und wirst du ihr sagen, dass wir ihn – eine Weile unter Verschluss gehalten haben?«
»Könntest du ihr nicht einfach sagen, dass wir es vergessen haben? Sie hat doch schon genug Kummer, da braucht sie nicht auch noch wütend auf uns zu sein …«
»Eigentlich sollte ich nicht zu einer Notlüge greifen, um euch die Folgen eures Handelns zu ersparen. Aber in diesem Fall mache ich eine Ausnahme. Aus dem einfachen Grund, den ihr gerade selbst genannt habt. Henrietta hat wahrlich genug Kummer gelitten. Ich hoffe nur, dass dieser Brief sie nicht noch tiefer in Verzweiflung stürzen wird.« Sie zögerte einen Moment. »Nein, ich behalte den Brief noch und gebe ihn ihr erst morgen. Sie
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