Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Aussichtspunkt und gingen zu der kleinen Bank unter der alten Buche, die Ziel ihres Ausflugs war. Mit einem Taschentuch, das sie extra für diesen Zweck mitgebracht hatte, wischte Elizabeth die Bank sauber – zwei weitere Taschentücher hielt sie zurück, für den Fall, dass Henrietta sie brauchte.
    Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, bis Henrietta einen langen Seufzer ausstieß und so niedergeschlagen und traurig aussah, dass Elizabeth ihre Hand auf Henriettas legte.
    »Und dann ist da noch Frank …«, sagte Henrietta leise. »Ich weiß nicht, was ich mit dem armen Frank tun soll. Sein Antrag hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Es ist so ungerecht ihm gegenüber, dass er gar nicht mehr in meinen Gedanken vorgekommen ist. Ich bin ganz unglücklich darüber.«
    »Ja, es kommt alles ungünstig zusammen«, stimmte Elizabeth ihr zu. »Und doch wirft es eine Frage auf, wenn sein Heiratsantrag vollkommen untergegangen ist in deiner Trauer um einen anderen Mann. Was sagt das also aus über deine Gefühle für die beiden Gentlemen? Der eine macht sich Hoffnungen, der andere hat dich auf ehrlose Weise in deinen Hoffnungen enttäuscht.«
    »Ich müsste Frank lieben«, betonte Henrietta. »Ja, ich müsste ihn von Herzen lieben. Wer hätte es mehr verdient als er? Bestimmt nicht Charles Hayden, der mich so verletzt hat.«
    »Aber …?«
    »Ich weiß darauf keine Antwort …«, flüsterte sie und kämpfte gegen ihre Tränen an.
    »Aber …?«
    Henrietta tupfte sich die Tränen fort und klagte: »Es ist schon nass.«
    Elizabeth holte eines der beiden Taschentücher hervor und reichte es ihrer Cousine. »Ich habe genug, keine Sorge.«
    »Oh, danke, nicht nötig. Ich habe genug bei mir, in jeder nur erdenklichen Tasche.«
    Sie lachten, doch es klang leicht gequält, fast verbittert.
    »Eine Pferdetränke wäre vielleicht die Lösung. Ich könnte sie alle paar Stunden mit meinen Tränen füllen – und dann klettere ich hinein und gehe buchstäblich in meinen eigenen Tränen unter. Wie wäre das?«
    »Nein, du darfst nicht untergehen«, hielt Elizabeth dagegen.
    »Das war doch bloß Spaß.«
    »Darüber macht man keine Scherze, meine Liebe. So etwas beunruhigt mich.«
    »Tut mir leid, Lizzie. So war es ja nicht gemeint. Ich bin nur von Kummer und vielen anderen Gefühlen überwältigt, aber ich bin fest entschlossen, das durchzustehen und mein eigenes Leben zu leben. Und in den kommenden Tagen muss ich mich entscheiden, ob ich dieses Leben gemeinsam mit Frank Beacher verbringen möchte. Ich denke, ich kann ihn nicht mehr lange warten lassen, auch wenn es mir im Augenblick nicht gut geht. Er hat es sicher nicht verdient, in der Schwebe gehalten zu werden.«
    »Ja, da hast du recht.« Elizabeth atmete tief ein. »Henri? Ich habe da etwas in meiner Tasche, das ich dir nur ungern geben möchte.«
    »Wie meinst du das, Lizzie? Was ist es denn?«
    »Ein Brief …« Sie hielt den Atem an. »Er ist von Charles Hayden – er hat ihn geschrieben und abgeschickt, bevor er sein Schiff verlor – wie ja auch nicht anders zu erwarten war.«
    Henrietta streckte sofort die Hand aus. »Lizzie, du musst mir den Brief geben. Was steht denn drin?«
    »Ich weiß es nicht, meine Liebe. Was Charles Hayden dir nach allem, was er dir angetan hat, noch zu sagen hatte, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.«
    Elizabeth reichte ihrer Cousine den Brief. Henrietta überflog die Adresse und zögerte schließlich, das Schreiben zu öffnen.
    »Die Zeilen werden dir nur neuen Kummer bereiten, Henri. Soll ich ihn nicht wieder an mich nehmen und dir erst in ein paar Tagen geben, wenn du dich besser fühlst und den Dingen gewachsen bist, die darin stehen?«
    »Nein, Lizzie, hab Dank. Aber ich denke, ich brauche noch einen Moment …«
    Es dauerte länger als »einen Moment«. Henrietta erhob sich und schritt einige Male vor der Bank auf und ab. Schließlich brach sie das Siegel (ihre Cousine hatte eigens für diesen Zweck ein kleines Messer dabei) und hielt inne. Wieder ging sie auf und ab.
    Nach einer Weile setzte sie sich auf die Kante der Bank, wie ein Vogel, der jeden Augenblick fortfliegen würde, und öffnete den Brief mit zitternden Händen. Ihre Augen huschten über die Zeilen, das Taschentuch hielt sie sich an die Wange, um dem möglichen Tränenfluss Einhalt gebieten zu können. Elizabeth hörte, wie Henri der Atem stockte. Dann lehnte sie sich zurück, ließ den Brief sinken und hielt die Tränen nicht länger zurück.

Weitere Kostenlose Bücher