Zu feindlichen Ufern - [3]
Hayden beinahe, sehen zu müssen, dass bei fast jeder Geschützmannschaft einer der Männer auf der Lafette hockte, die Hände auf den Knien, die Arme schlaff und ohne Kraft. Viele stierten vor sich hin, waren kaum noch wach und hatten sichtlich Mühe, sich in dieser Position zu halten. Aber sie mussten wach bleiben.
Hayden stand einen Augenblick im Schatten des Poopdecks. Die Rudergänger sahen ihn nicht. Seit nunmehr vier Tagen und vier Nächten hielten sie sich gefechtsbereit – weder Matrosen noch Offiziere hatten Zugang zu den Hängematten oder Schwingkojen. Selbst Hayden lag auf einer schäbigen Matte auf den Planken des Batteriedecks. Erschöpfung übermannte ihn allmählich und behinderte ihn in seinen Gedankengängen. Dann wiederum geriet er ins Grübeln, ehe sich sein Geist erneut verschleierte und die Gedanken ins Leere liefen wie auf einer ruhigen, glatten See.
Leutnant Bell hing schlaff auf den Sprossen der Quarterdecks-Leiter.
»Mr Bell?«, wisperte Hayden, als er aus den Schatten des Vordachs trat.
Der junge Leutnant erschrak und rappelte sich auf. »Ich habe nicht geschlafen, Sir.«
»In der Tat, das haben Sie nicht – es sei denn, Sie können auf Leitersprossen schlafen, ohne abzurutschen. Sind die Franzosen noch in Sichtweite?«
»Dunst hat uns eingeschlossen, Kapitän, aber die Niger hat regelmäßig geglast, Sir – ein Kanonenschuss pro Stunde, Sir – die Flotte ist also noch in Sicht.«
»Aber wir haben keinen Sichtkontakt mehr?«
»Nein, Sir.«
»Dann setzen wir die Segel.«
»Soll ich alle Mann an Deck rufen, Sir?«
»Nein, wir kommen mit den Männern auf dem Quarterdeck und dem Vorschiff aus. Lassen Sie antreten, auch wenn ich es ungern tue.«
Die Männer regten sich und kamen wie benommen auf die Beine, griesgrämig und widerspenstig. Hayden übernahm persönlich die Aufsicht über die Crew und schickte die Matrosen auf ungewohnte Positionen, damit auch der Letzte hoch oben in den Wanten wach wurde. Langsam kam Leben in die Mannschaft, und nachdem die Segel gesetzt waren, nahm das Schiff in der kleinen Brise Fahrt auf. Bald waren die Rahen gebrasst, die Segel festgezurrt und die Taue aufgerollt, worauf Hayden den Männern gestattete, noch einmal zu den unbequemen Schlafstätten zurückzukehren. Er selbst betrat das Poopdeck und blickte hinaus in die Dunkelheit des Meeres.
Über der See hing Dunst, den man in einer mondlosen Nacht kaum bemerkte. Die Sterne hoch oben waren nur hier und da verdeckt, und dicht über den Wassern hing der dünne Nebel und verschmolz mit der Dunkelheit.
Hayden konnte nur die Lichter der vorderen Schiffe in Lord Howes grob geformter Linie ausmachen. Voraus waren die Laternen der beiden Fregatten zu erkennen, die den Befehl erhalten hatten, dicht an der französischen Flotte zu bleiben. Die Raisonnable sollte die Fregatten unterstützen und Signale weiterleiten, falls nötig.
Hayden trat an die Heckreling und stützte sich schwer auf das Holz. Was hätte er jetzt darum gegeben, auf dem Deck liegen und schlafen zu dürfen? Nur mühsam hielt er sich noch auf den Beinen. Die Schiffsglocke läutete siebenmal – halb drei am Morgen. Das Tageslicht war nicht mehr fern.
Da er sich einredete, er könne besser wach bleiben, wenn er in Bewegung blieb, machte er einen Rundgang an Deck und begann an der Steuerbordseite. Langsam stieg er die Leiter hinunter und ging vorsichtig über das Deck, wobei er bei jedem Schritt achtgab, nicht auf schlafende Männer zu treten. Die Kanoniere, die auf den Lafetten hockten, erhoben sich und grüßten, doch Hayden bedeutete ihnen, wieder Platz zu nehmen. Ein paarmal blieb er stehen, um sich mit einigen Männern im Flüsterton zu unterhalten, ehe er mit den wachhabenden Offizieren redete. Unter Schmerzen in den Gliedern stieg er bis auf die Marsplattform, sprach kurz mit dem Ausguck und ließ dann den Blick über die neblige See schweifen – in der Hoffnung, die hintersten Schiffe der französischen Flotte zu entdecken. Aber er konnte nichts sehen.
Ebenso mühsam gestaltete sich der Abstieg an den Wanten, bis Hayden schließlich seinen Rundgang an Deck wieder aufnahm. Auf der Laufbrücke an Backbord tauchte eine hagere Gestalt vor ihm auf.
»Dr. Griffiths. Ist es nicht zu früh, um jetzt schon auf den Beinen zu sein? Wurden Sie an Deck gerufen?«
»Ich wache fast immer gegen acht Glasen auf. Im Augenblick will ich mir nur die Beine etwas an Deck vertreten. Da hat man einen klaren Kopf.«
»Das ist unter anderem auch der
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