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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Fregatten. Der Kontakt zur feindlichen Flotte sollte gehalten werden.
    Hayden war schon an der Reling zum Quarterdeck und rief Archer, dessen Konturen im abnehmenden Licht nur noch zu erahnen waren. »Haben Sie das Signal gesehen, Mr Archer? Wir sollen dicht an der feindlichen Flotte dranbleiben.«
    »Bleiben wir auf Gefechtsposition, Kapitän?«, rief Archer aus dem Halbdunkel.
    »Ja. Aber die Männer an den Geschützen brauchen etwas zu essen.«
    »Ich kümmere mich darum, Sir.« Archer eilte über das Deck. »Mr Barthe? Wir bleiben dran am Feind! Mr Huxley! Gefechtsposition beibehalten, aber die Männer brauchen Proviant!«
    »Ich bin gleich unten in der Kombüse, Mr Archer, und hole die Diener der Messe«, hörte Hayden den jungen Leutnant sagen, aber sehen konnte er ihn nicht.
    In diesem Augenblick vermisste Hayden sein altes Schiff – eine Fregatte hatte ein Deck, auf dem keine Geschütze untergebracht waren. Wenn an Bord einer Fregatte vor dem Gefecht die Schotten auf dem Batteriedeck entfernt wurden, blieb das Mannschaftsdeck davon unberührt. Doch an Bord eines Vierundsechzigers lebten die Männer auf den Kanonendecks. Während der Mahlzeiten hingen die Backs zwischen den Geschützen. Entlang der Bordwände standen die Seekisten der Matrosen, zwischen den Kanonen wurden die Hängematten aufgehängt. All das musste weggeräumt werden, wollte man die Geschütze bedienen. Und wollten sich die Männer während der Gefechtsbereitschaft schnell zwischendurch zu ihren Backschaften zusammenfinden, mussten sie auch auf die kleinsten Annehmlichkeiten verzichten, die an Bord einer Fregatte selbstverständlich waren. Daher musste die Crew auf großen Kriegsschiffen stets bei den Geschützen essen und schlafen und sich dort einrichten.
    Im letzten Licht des Abends, vor einem opalisierenden Himmel, holte die Raisonnable die Révolutionnaire ein, die in der Dünung rollte, ohne Kreuzmast und ohne die wichtigsten Rahen. In diesem Moment erschienen einige Franzosen bei den Finknetzen an der Reling und trugen etwas. Kurz darauf warfen sie einen Leichnam über Bord, der sich noch einmal im Fallen drehte, ehe die dunklen, unergründlichen Wogen ihn verschluckten.
    Bis die See die Toten freigibt. Diese Worte schossen Hayden unwillkürlich durch den Kopf. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie die Toten aus dem Dunkel der Meere aufstiegen und die Wasseroberfläche durchbrachen, bleich und voller Tang, wie Schlafende, die langsam erwachten. Sein eigener Vater könnte unter den schwebenden Toten sein – vielleicht würde auch er, Hayden, eines Tages in einer jener bleichen Hüllen im Meer treiben …
    Die Révolutionnaire wirkte verloren. Noch vor wenigen Stunden hatte sie Furcht einflößend und riesig ausgesehen – eine Kriegsmaschine von tödlicher Schönheit. Doch jetzt lag sie stumm da, driftete im schwachen Wind ab und rollte im Rhythmus der Dünung. Wären nicht die Seeleute an Deck gewesen, man hätte das Schiff für eine Hulk halten können, leblos und ausgehöhlt. Wie rasch ihr Niedergang herbeigeführt worden war!, ging es Hayden durch den Kopf.
    »Wenn Sie erlauben, Kapitän …« Wickham tauchte oben an der Leiter auf.
    »Kommen Sie an Deck, Mr Wickham.«
    »Die Audacious segelt weiter, Sir. Ich frage mich, ob sie das Signal des Lord Admirals nicht gesehen hat.«
    »Lassen Sie leewärts ein Geschütz abfeuern und wiederholen Sie das Signal.«
    »Aye, Sir.«
    Schnell begab sich Wickham zu Gould und den neuen Midshipmen, die damit beschäftigt waren, die Flaggen zum Hissen bereitzuhalten. Eines der Buggeschütze wurde abgefeuert – ohne Kugel, worauf die Signale durch die feuchte Nachtluft liefen.
    Hayden hatte nur wenig Hoffnung, dass die Audacious die Signale in der Dunkelheit sehen würde. Er hielt es aber für wahrscheinlich, dass irgendjemand an Bord bemerken würde, dass die anderen Schiffe wieder in die Linienformation wechselten oder Segel bargen, um die Flotte aufschließen zu lassen.
    Kurz darauf wurden an Bord der Audacious Geschütze abgefeuert – offenbar befand sie sich auf Höhe eines der letzten französischen Schiffe der Kiellinienformation.
    Im Osten waren die ersten Sterne am Firmament zu sehen, leicht verschwommen im Dunst. Die Nacht übernahm die Herrschaft. Auf den britischen Schiffen wurden Positionslampen gesetzt.

K APITEL EINUNDZWANZIG
    Die Männer lagen kreuz und quer zwischen den Geschützen. Im matten Schein der Laternen wirkten sie wie leblose Körper auf den harten Planken. Es schmerzte

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