Zu feindlichen Ufern - [3]
kannten einander seit frühester Kindheit und redeten sich seit jeher mit Vornamen an.
»Ich musste auf die Hilfe eines alten Freundes aus Schulzeiten zurückgreifen, um die Insekten in Angriff nehmen zu können.«
»Das müssen ja Furcht einflößende Insekten sein, wenn Sie Hilfe benötigen, um sie in ›Angriff‹ zu nehmen.« Elizabeth lächelte süßlich.
»Sie kennen doch sicher diese Skarabäen. Die schneiden einen Mann in zwei Hälften, wenn er unvorsichtig ist.«
»Nun, sehen Sie sich auf jeden Fall vor«, erwiderte Elizabeth belustigt. »Dann haben wir also das Vergnügen, dass Sie uns beim Dinner Gesellschaft leisten?«
»In der Tat.« Beacher begriff, dass die Dame ihm mit diesen Worten auf höfliche Weise zu verstehen gab, die Bibliothek wieder zu verlassen, weil er offenbar im Augenblick störte. »Ich freue mich schon darauf. Also dann bis zum Dinner.«
Leise verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich.
»Du hast in deinen Briefen nie erwähnt, dass Frank Beacher jetzt hier wohnt.«
»In letzter Zeit hält er sich immer irgendwo in der Nähe von Box Hill auf, wenn er nicht gerade in der Schule ist. Ich glaube, Pen ist ziemlich vernarrt in ihn.«
»Und in wen mag er vernarrt sein?«, fragte Elizabeth und war besonders an dieser Antwort interessiert.
»In Pen, nehme ich an.«
»Dann hätten sich seine Gefühle aber auf drastische Art verändert, wenn ich bedenke, dass er schon immer in dich verliebt war, schon als Junge.«
»Oh, Lizzie, jetzt hör aber auf!« Henrietta musste sogar lachen, und das hatte sie seit einiger Zeit nicht getan. »Frank ist wie ein Bruder für mich. Uns verbindet so viel romantisches Gefühl, wie man es sonst vielleicht bei einem Pferd und – einer Taube findet. Nein, ehrlich, wir schenken einander kaum Beachtung. Er sitzt immerzu an Vaters Sammlungen, und ich – mich haben in letzter Zeit andere Angelegenheiten vereinnahmt.«
»Meine liebe Henri, du bist so bescheiden, wenn es darum geht, deine eigenen Qualitäten zu beschreiben, dass du das Interesse eines Mannes an dir für rein platonisch hältst. Aber Franks Interesse an dir ist eben ganz anderer Natur. Seit mehr als zehn Jahren ist er ein glühender Verehrer von dir, und in diesem Zuge hat er sich bei deinen Eltern und all deinen Schwestern beliebt gemacht und wird von allen geschätzt, in der Hoffnung, alle Carthews könnten ihm bei dem Werben um die einzige Tochter behilflich sein, an der ihm wirklich etwas liegt. Und das bist du, meine Liebe.«
»Elizabeth, du bist wohl nicht ganz bei Trost. Frank hat nie durchblicken lassen, dass er meine Gesellschaft der meiner Schwestern vorzieht, insbesondere Pens Gesellschaft. Und er hat gewiss nie etwas gesagt, was darauf hingewiesen hätte, dass er mir in einer Weise zugetan ist, die über unsere vertraute Freundschaft hinausginge. Nein, er ist der Bruder, den ich nie hatte.« Sie lachte wieder. »Meine Schwestern nennen ihn ›den Jagdhund‹, weil er immer hinter uns her trottet, stets zuvorkommend ist und immer bereitwillig das holt, was eine Dame gerade benötigt. Nein, was Frank betrifft, so irrst du dich …« Die Überzeugung in ihrem Blick wich alsbald Bedenken. »Bist du nicht meiner Ansicht?«
»Natürlich bin ich nicht deiner Ansicht, weil ich weiß, dass ich mich nicht irre. Frank verbirgt seine wahren Gefühle dir gegenüber, da er von Natur aus schüchtern ist und da er Angst hat, du könntest ihn abweisen. Der arme Mr Beacher wartet förmlich darauf, dass du ihn wahrnimmst oder auf irgendeine Weise erkennen lässt, dass du seine Gefühle erwiderst. Er wird sich dir nie eröffnen, aus Angst, du könntest seine Hoffnungen für immer zunichte machen, aber er kann nicht aufgeben. Er ist hoffnungslos in dich verliebt.«
Henrietta war inzwischen ernsthaft bekümmert. »Oh, Elizabeth, das ist ja schrecklich. Ich habe nie etwas anderes als geschwisterliche Zuneigung für Frank empfunden. Der arme Frank. Bist du dir sicher?«
»Sehr sicher.«
»Oh, du liebe Güte …«, seufzte Henrietta. »Soll das heißen, ich habe den armen Kerl seit Langem unwissentlich gequält?«
»Nun, das Wort ›gequält‹ hätte ich vielleicht nicht benutzt, aber es stimmt sicher, dass du sein Leben nicht gerade angenehmer gestaltet hast.«
»Ich – ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Oder jetzt tun könnte. Bestimmt sollte ich ihm verständlich machen, dass seine Hoffnungen aussichtslos sind …«
»Aber bring es ihm so schonend wie möglich bei, denn ich
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