Zu feindlichen Ufern - [3]
kannst du sicher nichts. Kummer kann wie eine Krankheit sein. Es wird Zeit brauchen, bis die Heilung eintritt. Bis dahin bleibt uns nichts anderes übrig, als all den Schmerz zu erdulden. Aber wir müssen alles versuchen, was in unserer Macht steht, um die Dauer dieser Krankheit zu verkürzen. Deshalb gehen wir ein wenig spazieren und sprechen von anderen Dingen, nicht nur von dem treulosen Charles Hayden. Möge er sich sonst wo hinscheren.«
»Ich wünsche ihm nichts Böses«, sagte Henrietta mit leiser Stimme. »Das kann ich nicht. Er hat mir kein Versprechen gegeben, wie ich mir immer sage. Und dennoch …« Sie richtete sich wieder auf und rieb sich die geröteten Augen.
»Doch, er hat dir sein Versprechen gegeben, sogar in seinen Briefen. Und dieses Versprechen hat er in der verachtenswertesten Weise gebrochen.«
»Sie muss sehr schön sein«, platzte es aus Henrietta heraus. »Das sagen alle. Glaubst du, dass er letzten Endes doch mehr Franzose als Engländer ist und eine französische Ehefrau braucht?«
»Ich werde meine Zeit nicht damit vergeuden, Ausflüchte für ihn zu ersinnen. Er hat sich dir gegenüber ganz abscheulich benommen, und das werde ich ihm nie verzeihen. Ein Charles Hayden ist in meinem Haus nicht mehr willkommen, auch wenn er der beste Freund von Robert ist. Es ist mir gleich. Er ist verbannt, ein für alle Mal. Und all seine gehobenen Ansichten über Wein und Speisen kann er anderswo anbringen.«
Henrietta entsann sich sehr wohl, dass es Robert Hertle und Elizabeth gewesen waren, die Charles bei Tisch gedrängt hatten, seine Kenntnis von Weinen zum Besten zu geben – denn Charles war stets sehr zurückhaltend und bescheiden, wenn es um seine eigenen Fähigkeiten oder sein Wissen ging.
»Es gibt da noch etwas, das ich dir unbedingt sagen muss, Henri«, sagte Elizabeth und nahm die Hand ihrer Cousine. »Kapitän Hayden kam vor einigen Tagen zu meinem Haus. Ich habe ihn natürlich nicht empfangen und war auch nicht bereit, eine Nachricht von ihm zu akzeptieren. Aber er ist in London – zumindest war er es.«
»Oh …«, entfuhr es Henrietta. Sie sank gegen das Kissen. »Ich verstehe – er kam gewiss in die Stadt, um seine Frau zu treffen. War er allein?«
»Ja, zumindest hat man es mir so berichtet.«
»Nun, es ist sein Vaterland. Er kann kommen und gehen, wie es ihm beliebt.« Sie dachte einen Moment nach. »Er hätte mir schreiben können. Zweifellos hätte mir ein Brief das Herz gebrochen, aber es wäre immer noch besser gewesen, er hätte mir alles mitgeteilt. Stattdessen erfuhr ich aus anderer Quelle von alldem und fühlte mich zusätzlich zu den enttäuschten Hoffnungen noch gedemütigt.«
»Es war das Mindeste, was er hätte tun können, in der Tat. Aber dazu war er zu feige. So tapfer er auch auf See sein mag …« Sie führte den Satz absichtlich nicht zu Ende.
Eine Weile schwiegen sie beide, bis Henrietta fragte: »Was glaubst du, wie lange dauert es, bis ein Herz verheilt ist?«
Elizabeth schien dies für eine ernst gemeinte Frage zu halten und nicht für eine rhetorische. »Meiner Erfahrung nach bis zu einem halben Jahr, obwohl ich auch schon von Fällen gehört habe, wo es bis zu einem Jahr dauerte. Das hängt ganz davon ab, wie schwer man enttäuscht wird.«
»Bis zu einem Jahr«, wiederholte Henrietta tonlos. »Das ist eine lange Zeit – ich wünschte, es gäbe eine Arznei, die mich in einen zwölfmonatigen Schlaf versetzte, aus dem ich dann gut erholt wieder aufwachte. Und all meine Sorgen wären verflogen.«
»Ja, das wäre wohl die Lösung für viele arg Enttäuschte, aber stattdessen müssen wir durchhalten. Das ist vermutlich die englische Art, fürchte ich.« Sie war im Begriff, fortzufahren, doch da ging die Tür leise auf und ein junger Mann trat ein. Er tat überrascht, die beiden Damen vorzufinden, aber das hätte ihm niemand so recht abgenommen.
»Oh, Miss Henrietta, Mrs Hertle!« Ein freundliches Lächeln spielte um seine Lippen. »Ich muss mich entschuldigen. Ich dachte, es wäre niemand in der Bibliothek.«
»Mr Beacher.« Elizabeth lächelte und war angenehm erfreut. »Was für ein unerwartetes Vergnügen. Sind Sie auch kürzlich hier eingetroffen?«
»Nein, ich wohne seit einiger Zeit hier, vorübergehend, versteht sich. Ich soll etwas Ordnung in Mr Carthews Sammlungen bringen. Ein Vorhaben, das sich letzten Endes doch schwieriger gestaltet, als ich vermutet hätte.«
»Und wie steht es mit deinen Bemühungen, Frank?«, fragte Henrietta. Sie
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