Zu feindlichen Ufern - [3]
fürchte, es wird ein herber Schlag für ihn sein. Als Charles Hayden in dein Leben trat, war Mr Beacher sicherlich sehr niedergeschlagen, aber jetzt wird seine Hoffnung wieder aufgeflammt sein, und das Feuer seiner Liebe hat neue Nahrung bekommen. Wenn du diese Flamme also nun zum Erlöschen bringst, was du tun musst …«, sie zögerte, »… es sei denn, du hegst doch Gefühle für Frank, die du nur noch nie eingehend ergründet hast …«
»Also wirklich, Lizzie«, unterbrach Henrietta ihre Cousine und spürte, dass ihr das Thema unangenehm war, »jetzt redest du wahrlich Unsinn. Ich bin doch nicht empfindungslos, was meine eigenen Gefühle betrifft.«
Aber Henrietta kam sich ziemlich töricht und dumm vor. Wieso hatte sie Franks Zuneigung nicht wahrgenommen? Dabei war sie immer fast stolz darauf gewesen, gerade bei Herzensangelegenheiten besonders aufmerksam zu sein. Doch jetzt hatte sie Frank Beacher und dessen Gefühlen keine Beachtung geschenkt, obwohl Frank seit einiger Zeit mit ihr unter demselben Dach wohnte. War es denkbar, dass Elizabeth sich irrte? Vorsichtig warf sie einen Blick auf ihre selbstbewusste Cousine. Nein, bei Herzensangelegenheiten irrte Elizabeth sich selten, wenn nicht gar nie. Derlei Dinge waren für sie wie ein offenes Buch.
In diesem Augenblick durchzuckte Henrietta ein weiterer beunruhigender Gedanke. Wussten es etwa alle, nur sie nicht? War es möglich, dass sie derart begriffsstutzig war? Sie spürte, wie ihr die Röte der Verlegenheit in die Wangen stieg.
»Geht es dir gut, Henrietta?«, fragte Elizabeth. »Du scheinst mir ein wenig erhitzt zu sein.«
»Oh, es geht mir gut – abgesehen von jener Krankheit, die, wie du sagtest, nur die Zeit heilen kann.«
Elizabeth drückte Henriettas Hand. »Vielleicht hätte ich dir das mit Frank besser nicht sagen sollen. Du hast schon genug Kummer. Es war töricht von mir.«
»Ich bin hier diejenige, die töricht ist, und nicht nur in Zusammenhang mit Frank Beacher. Aber die Erkenntnis soll ja dann besonders wertvoll sein, wenn man auf schmerzhaftem Weg zu ihr gelangt. Stell dir nur vor, wie klug ich sein werde, wenn sich dieses Jahr dem Ende zuneigt. Das erfüllt mich jetzt schon mit Vorfreude.«
Henrietta konnte Frank Beacher kaum in die Augen sehen. Er sah sie in der Tat recht häufig an, sogar mit einem hoffnungsvollen Blick, wie sie sich einbildete. Seit Wochen saß Frank nun schon bei Tisch an ein und demselben Platz, und von dort aus konnte er Henrietta genau beobachten, ohne ihr direkt gegenübersitzen zu müssen. Und nicht einmal dieser Umstand war ihr aufgefallen.
Jetzt, da Elizabeth ihr die Augen geöffnet hatte, erkannte Henrietta, dass Frank ihr förmlich an den Lippen hing. Er hielt jede ihrer Ansichten für vernünftig und pflichtete ihr in fast allem ausnahmslos bei. Wieso hatte sie all diese Hinweise nie wahrgenommen? Jedes Mal, wenn er eine ihrer Beobachtungen bekräftigte – mochte der Anlass auch noch so banal sein –, suchte Elizabeth Henriettas Blick. Fast unmerklich zog ihre Cousine dann eine Braue hoch.
Schlimmer war indes Penelopes offenkundige Eifersucht. Ihre jüngere Schwester konnte ihre Gefühle nur schlecht verbergen und ließ sich anmerken, wie unzufrieden sie war. Henrietta hatte dieses Verhalten als jugendlichen Trotz abgetan, aber inzwischen sah sie die Dinge anders: Pen war verstimmt und regelrecht wütend auf sie, weil sie in Henrietta eine Rivalin bei dem Buhlen um Mr Beachers Zuneigung sah. Und der Umstand, dass Henrietta offenbar nichts für Frank übrig hatte, reizte ihre jüngere Schwester umso mehr. Wie konnte Frank Henrietta bevorzugen, wenn sie seine Gefühle nicht erwiderte? Und Pen, die den Blick nicht von Frank wenden konnte und selbst über den kleinsten Scherz lachte, den er machte, wurde von Frank offenbar nur geduldet – wie ein Mann die kleine Schwester seiner Angebeteten duldet. Arme Penelope!
»Anne?«, sagte Mr Carthew. »Hast du das Gemälde beendet, das den Blick von Cardoff Hill zeigt? Ich denke, dass du gut vorangekommen sein dürftest.«
»Ich habe nicht weiter daran gearbeitet, Vater.« Anne blickte auf ihren Teller.
»Du hast nicht weitergemalt? Aber es war doch – perfekt. Ist es nicht so, Henrietta?«
»Ja, ganz recht.«
Henry Wallace Carthew richtete seine Aufmerksamkeit weiter auf seine zweitjüngste Tochter und wirkte sichtlich enttäuscht. »Es gehört zu den wichtigsten Qualitäten, die man kultivieren kann, dass man eine Sache, die man einmal begonnen hat,
Weitere Kostenlose Bücher