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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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ab, bis beide Schiffe unter günstigen Voraussetzungen zuschlagen können. Denn schließlich können wir in diesem Fall nirgends entwischen. Bei dieser Neigung und dem nördlichen Wind können wir England nicht erreichen, zumal bei nordwestlichem Wind die Gefahr besteht, zurück nach Frankreich abgetrieben zu werden.«
    Hayden wandte sich erneut der See zu und spähte in die Dunkelheit. Er sah lediglich einen schwachen Lichtpunkt, der mal auftauchte, mal verschwand. »Ich gebe indes die Hoffnung nicht auf, dass der Plan der Franzosen letzten Endes nicht aufgeht. Denn mit Sicherheit liegen unsere Fregatten vor Brest, und sollten wir gezwungen werden, in den offenen Atlantik zu segeln, werden wir bei günstigem Wind versuchen, Kurs auf Brest zu nehmen. In der Hoffnung, den Spieß umzudrehen und die Franzosen zu jagen.«
    Und so verstrich die Nacht. Der Wind brachte den Regen aus nördlicher Richtung, drehte leicht und spielte mit der Themis und ihrer Crew. Da Hayden bei Anbruch des Tages äußerst wachsam sein musste, beschloss er, ein wenig zu schlafen. Die Schiffszimmerleute setzten einen Teil seiner Kajütenwand wieder ein, sodass Hayden zumindest seine Hängematte in einer Ecke aufhängen konnte.
    Doch er fand nicht in den Schlaf, da sein Geist überfrachtet von Sorgen war – von privaten Sorgen und von Sorge um die Sicherheit seiner Mannschaft. In kurzen Phasen des Halbschlafs standen ihm Traumbilder vor Augen, doch sie verhießen nichts Gutes: Entweder schrak er aus dem Schlummer, weil er im Traum die Nachricht erhalten hatte, Henrietta habe geheiratet, oder er erlag den Einbildungen, dass die Franzosen geentert hatten und bis in seine Kajüte vorgedrungen waren.
    Jedes Mal, wenn er wieder wach dalag, versuchte er, ruhiger zu atmen, und wischte sich den Schweiß von der Stirn, ehe er erneut in einen schlafähnlichen Zustand verfiel. Er wähnte sich in einer Art Starre kurz vor dem Übergang zum Schlaf und fürchtete sich vor weiteren albtraumartigen Bildern.

K APITEL DREI
    Die Bibliothek war ihr Heiligtum. Es war nicht so, dass die anderen Mitglieder aus Henriettas Familie nicht gelesen hätten – im Gegenteil, alle lasen ohne Unterlass –, aber jeder aus dem Carthew-Clan hatte seinen eigenen, geliebten Rückzugsort, um dort in Ruhe der jeweiligen Lieblingsbeschäftigung nachzugehen. Henriettas Vater etwa las stets in seinem Arbeitszimmer, halb zurückgelehnt auf einem Diwan – doch meistens schlief er in dieser Position ein. Ihre Mutter hingegen bevorzugte das Zimmer, in das morgens das Sonnenlicht flutete. Dann las sie immer an einem kleinen Tisch, hatte das Buch meist auf dem Schoß, die Beine an den Knöcheln gekreuzt. Henriettas Schwester Penelope wiederum las gern auf einer Bank am Fenster im Treppenaufgang, da sie von diesem Platz aus genau verfolgen konnte, wohin die Bediensteten, die Gäste oder die Familienmitglieder gingen. Anne zog sich mit ihrer Lektüre immer in ihr Zimmer zurück, saß dann zumeist auf dem Bett, den Rücken gepolstert mit Kissen – eine Angewohnheit, die ihre Mutter missbilligte, befürchtete Mrs Carthew doch, dies führe bei ihrer Tochter zu Müßiggang, wenn nicht gar Liederlichkeit. Die Kaminecke, unmittelbar am Feuer, war Cassandras Lieblingsplatz, aber nur am Abend. Wie alle anderen in der Familie, verabscheute sie Spielkarten und überhaupt alle Spiele. Konversation stand für die Carthew-Familie im Mittelpunkt der täglichen Betätigungen.
    Während des Tages traf man Cassandra stets draußen an, selbst bei schlechtem Wetter. Wenn sie nicht auf dem Rücken eines Pferdes saß – was sie meist tat –, sammelte sie Vögel mit einem der Jäger. Als Anstandsdame fungierte dann das Dienstmädchen. Die Carthew-Sammlung präparierter Vögel suchte landesweit ihresgleichen, und niemand aus der Familie fand es ungewöhnlich, im entlegensten Winkel Englands einer seltenen Vogelart nachzuspüren. Bedauerlich war nur, dass der gegenwärtige Krieg Forschungsreisen auf dem Kontinent verhinderte.
    Die Bibliothek blieb demnach für Henrietta. Hier las sie, erledigte ihre Korrespondenz und arbeitete zudem heimlich an ihrem Roman – was aber jeder in der Familie wusste.
    Hätte Henrietta eine zweite Zufluchtsstätte gebraucht, so wäre dies ihr eigener Roman gewesen. Denn oft reiste sie in dieser Welt und gestaltete in ihrer blühenden Fantasie einen Ort, der so real war wie ihr Zuhause. Es war ihre kleine Welt in der großen Welt. Zumindest in dieser Fantasiewelt gab es Hoffnung,

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