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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Wahl kommt in meinem Buch nicht vor«, betonte Henrietta. »Es hat viel mehr mit Elizabeths Auslegung zu tun. Was ist der Preis für das Nichtwissen und was ist der Preis für Erkenntnis?«
    »Ignoranz«, teilte Mr Carthew den anderen mit, »kostet in der Regel drei Schilling den Zentner – außer in der unmittelbaren Umgebung von Whitehall. Erkenntnis kostet vier Schilling. Daher entscheiden sich die auf Sparsamkeit bedachten zumeist für die Ignoranz.«
    Alle lachten.
    Das Dinner neigte sich recht schnell dem Ende, worauf sich die Damen in den Salon zurückzogen, um Kaffee oder Tee zu trinken. Da niemand außer Mrs Carthew handarbeitete, waren nirgends Nähnadeln oder Stopfkissen zu sehen. An jenem Abend machte Penelope, die fleißig ihre Gedanken zu Papier gebracht hatte, den Vorschlag, sie könnten alle zusammen ein Gedicht über Cassandras zukünftige Reisen ersinnen. Und so wartete sie auch gleich mit der ersten Strophe auf:
    Jung Miss Carthew, tadellos behaubt,
Ging an Bord ganz unerlaubt,
Trotzte Sturm und Wasserpegel,
Zum Captain sprach: ›Setzt die Segel!‹
    Diese Zeilen fanden Gefallen bei den anderen, und so kam es, dass kurz darauf alle über ein Blatt Papier gebeugt am Tisch saßen, die Federkiele in der Hand.
    Cassandra, die sich durch diese Zeilen nicht beleidigt fühlte – oder sich vielleicht lieber selbst verteidigen wollte –, bot im Nu die nächste Strophe an.
    »Was haltet ihr hiervon?«, meinte sie und hielt den Bogen Papier zum Licht.
    Sie winkte all den scheuen Schwestern,
die da träumten heut’ und gestern,
dass reiche Lords und feine Herrn
die Hochzeitsglocken läuten gern.
    Strophe um Strophe entstand, begleitet von viel Gelächter und neckenden Worten, doch schlussendlich trockneten die poetischen Quellen aus. Da die jungen Damen aber noch ein Ende brauchten, bot Penelope, die ja schließlich mit all den Albernheiten angefangen hatte, eine Strophe, die ein baldiges Ende des Gedichts verlangte.
    Schon bald das Heimweh sie arg schmerzte,
Nach den Schwestern, die sie herzte.
Sagt’ rasch Lebwohl zu jung und alt
Und nimmt ein Schiff nach Hause bald.
    Doch eine abschließende Strophe wollte so recht niemandem einfallen, bis Henrietta vorschlug:
    Dann, aus der Ferne, frisch gelandet,
Kam ein Fremder, reich gewandet,
Behängt mit Gold und Ringen, blanken,
›Ich kann nicht ohne unser Zanken!‹
    Alle applaudierten spontan, worauf sich Penelope daranmachte, die Strophen noch einmal fein säuberlich abzuschreiben.
    Als Henrietta die vertrauten Schritte ihres Vaters draußen auf dem Korridor hörte, entschuldigte sie sich bei den Schwestern und verließ den Salon. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte und sich eine unangenehme Enge in der Brust bemerkbar machte.
    Wie sie es erwartet hatte, traf sie Frank Beacher im Speisezimmer an. Als er das Geräusch der Tür hörte, drehte er sich um und wirkte plötzlich verlegen.
    »Oh, du hast mich beim Rauchen erwischt«, sagte er und drückte seine Zigarre rasch aus. »Ich weiß, dass du das für eine schlechte Angewohnheit hältst.«
    »Du brauchst deine Gewohnheiten nicht aufzugeben, nur um dich meinen Ansichten anzupassen«, beeilte sie sich zu sagen. Obwohl sie sich noch während des Dinners überlegt hatte, was sie sagen wollte, kam sie sich im Augenblick töricht vor. Ihr fehlten schlichtweg die Worte.
    »Wolltest du deinen Vater sprechen?«, erkundigte er sich und suchte kurz ihren Blick, hoffte er doch insgeheim, Henrietta habe womöglich ihn gesucht, so abwegig ihm das auch erscheinen mochte.
    Henrietta wusste wirklich nicht, was sie sagen sollte. »Nein …«, brachte sie eher atemlos zustande. »Keineswegs. Es gibt da etwas, das ich dir sagen wollte.«
    »Und was wolltest du mir sagen?«, fragte er rasch nach, und Hoffnung leuchtete in seinem Gesicht auf wie eine aufgehende Sonne.
    Henrietta spürte, wie sie errötete, und als sie die sehnsüchtige Erwartung in Franks Augen sah, gerieten ihre Vorsätze ins Wanken.
    »Ich – ich wollte dich wegen Vater fragen«, sagte sie und suchte krampfhaft nach Möglichkeiten, das Schweigen zu füllen. »Kommt er dir in letzter Zeit nicht ein wenig kraftlos vor? Ich muss bekennen, ich bin etwas beunruhigt.«
    »Nun, er ist eben nicht mehr ganz so jung, aber für sein Alter ist er eigentlich noch sehr rüstig.«
    »Dann glaubst du also nicht, dass seine Gesundheit leidet?«
    Frank blickte ein wenig verwirrt drein. »Ich – nein, überhaupt nicht. Sein Appetit ist noch so wie früher.

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