Zu feindlichen Ufern - [3]
sind.«
»Aber ich – ich habe mir das anders vorgestellt. Ich dachte immer, dass sich deine Gefühle mir gegenüber ändern würden. Dass du erkennst, wie ergeben ich dir bin, von ganzem Herzen – und so ist es schon in den frühen Jahren gewesen.«
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, brachte Henrietta verunsichert hervor.
»Du brauchst nicht gleich zu antworten. Ich musste es dir nur endlich einmal sagen. Vorhin hast du betont, bei den Eigenschaften komme es dir vor allem auf Ehrlichkeit an. Und jetzt bin ich ehrlich zu dir gewesen.« Frank erhob sich. »Ich möchte ein wenig den Ausblick nach Norden genießen. Kommst du mit?«
»Ich – wenn es dir nichts ausmacht, bleibe ich noch ein wenig hier und denke über das nach, was du gesagt hast.«
»Wie du meinst.«
Beacher machte sich auf den Weg, doch er ging nicht zu dem Aussichtspunkt, der nach Norden wies. Stattdessen umrundete er die Spitze der Anhöhe, bis er am westlichen Abhang einen Stein fand, auf dem er sich niederlassen konnte. Nachdenklich blickte er zum Horizont. »Nun«, sprach er leise zu sich. »Jetzt habe ich wenigstens endlich meine wahren Gefühle bekannt.« Er schwankte zwischen Hoffnung und Verzweiflung, denn einerseits dachte er, Henrietta würde in sich hineinhorchen und entdecken, dass sie seine Gefühle teilte, aber andererseits befürchtete er, dass sie seine Hoffnungen für immer zunichte machen würde. Daher wusste er nicht, was er tun sollte.
Henrietta hätte so gerne unter vier Augen mit ihrer Cousine gesprochen, um ihr anzuvertrauen, was sich ereignet hatte, aber die Gelegenheit ergab sich nicht. Und so schlenderten die Ausflügler langsam die Anhöhe hinunter, zurück nach Box Hill, in einem für Henrietta quälend langsamen Tempo.
Mit geröteten Wangen von dem Marsch in der Wärme erreichten sie das Haus der Carthews und entledigten sich der Ausgehkleidung, worauf ein jeder seiner Beschäftigung nachging, da es noch gut eine Stunde bis zum Dinner war.
Henrietta flüsterte ihrer Cousine zu, sie möge sich gleich in der Bibliothek einfinden. Eine Viertelstunde später musste Henrietta im Laufschritt zu dem verabredeten Ort eilen, denn sie war spät dran, da ihre Mutter sie noch aufgehalten hatte. Mrs Carthew hatte nämlich wissen wollen, wie den jungen Leuten der Ausflug gefallen habe.
Elizabeth hatte es sich bereits auf einem Sofa bequem gemacht und las ein Buch. Sie schaute auf und zog die Brauen zusammen, als sie sagte: »Ich bin mir sicher, dass mein Französisch besser war, als wir noch jung waren. Weißt du noch, wie gut ich sprechen konnte und problemlos alles verstand? Bei diesem Buch komme ich ganz schön ins Schleudern, das kann ich dir sagen.«
»Dein Französisch war exzellent, Lizzie, aber mach dir darüber keine Gedanken. Ich muss dir von meinem Gespräch mit Frank erzählen. Es ist furchtbar.«
Elizabeth klappte das Buch zu und legte es rasch zur Seite, als Henrietta sich neben sie setzte. Elizabeth nahm die Hände ihrer Cousine in ihre Hände.
»Erzähl mir alles. Lass mich nicht länger warten. Hier ist mein Taschentuch. Aber versuche, nicht zu weinen, meine Liebe. Es kann doch nicht so schlimm gewesen sein, oder?«
»Du hattest vollkommen recht«, brachte Henrietta schließlich zustande. »Frank …« Sie schloss die Augen einen Moment lang und atmete bewusst langsamer. »Frank hat mir heute Nachmittag seine Gefühle gestanden. Wie kommt es nur, dass ich das in all den Jahren nicht bemerkt habe?«
»Und was hast du gesagt?«
»Er bat mich, nichts zu sagen, und bekannte, er habe seine Gefühle nicht länger für sich behalten können. Dann ging er fort und ließ mich vollkommen verwirrt zurück. So durcheinander bin ich lange nicht gewesen. Der gute, liebe Frank! Ich fühle mich richtig elend, wenn ich mir vorstelle, dass er meinetwegen im Stillen vor sich hin gelitten hat.«
Elizabeths schön geschwungene Brauen trafen sich über der Nasenwurzel. »Er hat um deine Hand angehalten, dich aber gebeten, nichts zu sagen?«
»Nein, so war es nicht. Er hat mir nur gestanden, dass er in mich verliebt ist. Und dann ging er weg.« Sie rückte ein wenig von ihrer Cousine ab, als sei sie plötzlich zu einer Erkenntnis gekommen. »Wenn er all das für mich empfindet, warum hat er dann nicht um meine Hand angehalten?«
»Ja, das ist ziemlich – eigenartig.« Elizabeth schaute auf Henriettas Hände, die sie immer noch umschlossen hielt. »Aber, Henri, was ist denn nun mit deinem Herzen? Was empfindest
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