Zu feindlichen Ufern - [3]
zusammenbringen wollte, da beide meistens vollkommen unterschiedlichen Beschäftigungen nachgingen, was bei ihren Veranlagungen nicht verwunderlich war. Anne war mit ihrem jüngsten Zeitvertreib beschäftigt gewesen – mit der Arbeit an ihrem Roman –, während Cassandra eben erst von einem Ausritt mit Mr Wilder und Mr Carthew zurückgekehrt war. Kurz darauf kamen beide Schwestern in die Bibliothek, wo ein Feuer angemacht wurde, und setzten sich an den Kamin. Beide wirkten frisch und gesund und strahlten eine erstaunliche Lebenszufriedenheit aus, die bei ihrem jungen Alter nicht zu erwarten war.
Elizabeth verschwendete im Grunde keinen Gedanken an Annes oder Sandras Geheimnisse oder einen Brief. Viel mehr Sorgen bereitete ihr im Augenblick Pens Herzensangelegenheit, da der Mann, den sie bewunderte, der älteren Schwester den Hof machte. Und da Pen als Jüngste das Gefühl hatte, von ihren Schwestern außen vor gelassen zu werden – wie es oft vorkommt unter Geschwistern –, verschlechterte sich ihre Laune nur noch. Daher hatte sich Elizabeth vorgenommen, Anne und Sandra zu bitten, mehr Rücksicht auf die jüngste Schwester zu nehmen und ihr mehr Verständnis entgegenzubringen, da Pen zum ersten Mal unter Liebeskummer litt. Elizabeth hoffte, die beiden älteren Schwestern würden sich erinnern, wann sie das erste Mal unglücklich verliebt waren.
Doch zunächst erkundigte sie sich, wie der Tag verlaufen war, und erfuhr, dass der Ausritt den Damen viel abverlangt hatte. Erst dann arbeitete sie sich langsam zu dem Thema vor, das sie eigentlich anschneiden wollte.
»Penelope und ich haben uns heute Morgen recht angeregt unterhalten – und ich möchte euch mitteilen, dass sie sehr traurig ist, dass Mr Beacher so viel Interesse an Henrietta erkennen lässt. Ihr wusstet doch sicher beide, was Pen für ihn empfindet?«
Beide nickten, doch weder Anne noch Cassandra schienen zu begreifen, auf was ihre Cousine hinauswollte. Offenbar hielten sie Pens Verehrung von Frank Beacher für eine kindliche Schwärmerei, die Pen bald überwinden würde, je schneller, desto besser.
»Aber Pen ist kein Kind mehr«, betonte Elizabeth, »und fühlt mit dem Herzen einer Frau – wie ihr auch. Vielleicht hattet ihr noch nicht das Unglück, unter Liebeskummer zu leiden, aber ich versichere euch, es ist eine Krankheit, die so schlimm verlaufen kann wie hohes Fieber. Ich denke, wir sollten etwas mehr Umsicht walten lassen und freundlicher zu Penelope sein, damit sie ihren Weg findet. Sie mag das Herz einer Frau haben, aber es ist das Herz einer sehr jungen Frau, das noch nicht gefestigt ist gegen die Schmerzen und Enttäuschungen, die sie noch erleben wird.«
Cassandra und Anne blickten gescholten drein und machten sich darauf gefasst, ihre jüngere Schwester bis auf Weiteres als emotionalen Invaliden zu betrachten.
»Sie mag es gar nicht, dass ihr sie nicht ins Vertrauen zieht, und meint, ihr hättet immer irgendetwas zu flüstern gehabt …«
Auf die folgende Reaktion war Elizabeth nicht vorbereitet. Diese beiden jungen Frauen kannte sie schon von klein auf und wusste daher, wie sie reagierten. Jetzt erröteten beide auffällig und tauschten fast erschrockene Blicke.
Kurz darauf hatten sie sich unter irgendeinem Vorwand entschuldigt und verließen fluchtartig die Bibliothek. Zurück blieb Elizabeth, gleichermaßen verwirrt wie erschrocken. »Was, um alles in der Welt, haben diese Mädchen vor?«, fragte sie.
Dieser Brief – wenn es überhaupt um einen Brief ging – musste etwas mit Penelope zu tun haben, denn sonst hätten Sandra und Anne Pen doch nicht im Ungewissen gelassen. Um was es da wohl gehen mochte? , fragte sie sich.
Als die Tür wieder aufging, kam Henrietta herein. Ihre Wangen glühten von der frischen Luft und der Frühlingssonne.
»Henri, du glühst ja wahrlich vor Gesundheit und Kraft. Welcher junge Mann würde sich nicht nach dir umdrehen, wenn er dich jetzt so sehen könnte?«
Doch dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, den Henrietta an den Tag legte, hätte keine Bemerkung eine größere Unruhe in ihr auslösen können.
»Frank Beacher hat soeben um meine Hand angehalten«, ließ Henri ihre Cousine wissen, sank auf einen Stuhl, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und weinte leise.
Henrietta brauchte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Kaum hatte sie ihre Tränen fortgewischt, flossen sie aufs Neue, sodass sie erneut zum Taschentuch greifen musste. Schließlich hatte sie sich wieder im Griff,
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