Zu feindlichen Ufern - [3]
überhaupt kein Adliger. Gestatten, Charles Hayden, Master und Commander. Nicht einmal Vollkapitän.«
»Jean-Baptiste Raymond de Lacrosse, Capitaine der Droits de l’Homme .«
»Die Menschenrechte«, übersetzte Hayden.
» Oui, Capitaine . Exakt.«
»Ich bot Ihrem Lieutenant meinen Degen an.«
»Ich benötige nur Ihr Wort, dass Sie Ihre Klinge nicht gegen meine Männer einsetzen, während Sie mein Gast sind.«
»Sie haben mein Wort.«
»Aber kommen Sie, in meiner Kajüte erwartet uns eine Mahlzeit.«
Während Hayden dem französischen Kommandanten über den Laufsteg folgte, merkte er, dass sowohl die Offiziere als auch die einfachen Matrosen ihn aufmerksam musterten, als wäre er ein faszinierendes Anschauungsobjekt. Fast hatte er den Eindruck, diese Männer hätten noch nie einen Engländer gesehen. Gewiss waren sie noch nicht vielen begegnet, die auf See kapituliert hatten.
Es ging hinab ins Batteriedeck. Hayden fiel sofort auf, dass an Bord dieses Schiffes offenbar kein Mangel an Männern herrschte. Die britischen Schiffe stachen leider viel zu oft ohne die volle Besatzung in See. Hier jedoch wies jede Geschützmannschaft die volle Stärke auf.
Man brachte ihn in die Kajüte des Kapitäns, die nicht abgebaut worden war, wie es vor Gefechten an Bord britischer Schiffe üblich war. Ein Tisch war mit schlichten Tellern gedeckt. Diener standen schweigend entlang der Wand.
»Sehen Sie es mir nach, wenn meiner Tafel der Glanz fehlt, Capitaine«, sagte Lacrosse. »Aber seit der Revolution ist es nicht mehr akzeptabel, zu viel Silber zur Schau zu stellen.«
Er wies Hayden einen Platz zu, worauf ein Diener ihm den Stuhl zurechtrückte.
»Sie erlauben, Capitaine Lacrosse, aber ich muss Sie fragen, was mit meiner Crew und mit meinen Offizieren geschehen wird.«
»Sie werden alle fair behandelt, machen Sie sich also in dieser Hinsicht keine Sorgen. Solange niemand Widerstand leistet, natürlich. Sobald sie an Land sind, wird man sie irgendwo hinbringen, und darauf habe ich dann keinen Einfluss mehr, wie ich mit Bedauern sagen muss. Ich glaube jedoch nicht, dass man sie schlechter behandeln wird als die französischen Seeleute, die in britischen Häfen auf Hulks sitzen. Ihre Offiziere werden natürlich gegen unsere Offiziere ausgetauscht, und sogar recht schnell, denke ich.«
»Ich danke Ihnen, Capitaine«, sagte Hayden. »Aber wieso nannten Sie mich vorhin Graf?«
Lacrosse schenkte ihm ein charmantes Lächeln. »Da Sie unsere Sprache perfekt beherrschen, heißt es, Sie seien ein Franzose. Ein émigré Kapitän aus der französischen Marine, ja, es heißt sogar, Sie seien ein Edelmann und ein Royalist.«
Ein Schauer durchrieselte Hayden, als er die Worte auf sich wirken ließ, als habe man ihn in die kalten Wasser des Atlantiks geworfen. Er musste sich rasch etwas einfallen lassen, wenn er verhindern wollte, dass der Familie seiner Mutter etwas widerfuhr. »Als ich klein war, hatte ich eine liebenswerte Amme, die aus Frankreich stammte. Sie müssen wissen, dass meine Mutter ein körperliches Gebrechen hatte und mich nicht großziehen konnte. Sie starb, als ich noch ein Junge war. So kam es, dass ich schon Französisch sprach, ehe ich die englische Sprache lernte, so erzählte man es mir jedenfalls. Mein Vater war Vollkapitän in der Royal Navy. Kapitän William Saunders Hayden.«
»Es tut mir aufrichtig leid, was Ihre Frau Mutter angeht, Capitaine. Mein Beileid. Ihnen ist doch sicherlich bewusst, Capitaine Hayden, dass gewisse Fraktionen innerhalb Frankreichs gegenwärtig eine - Hysterie im Land auslösen?«
»Das ist mir bekannt, ja.«
»Man könnte Sie bezichtigen, Franzose und Royalist zu sein. Kurzum, man könnte Sie für einen Verräter halten.«
»Aber ich bin weder Franzose noch Royalist noch ein Verräter.«
Lacrosse quittierte diese Worte mit einem Achselzucken und verzog den Mund, bis seine Lippen ein umgekehrtes U bildeten. »Das mag ja sein, aber es könnte sein, dass Sie das beweisen müssen, und zwar rasch. Der Wohlfahrtsausschuss benötigt nicht viele Beweise, um einen Mann aufs Schafott zu bringen. Gibt es jemanden in Frankreich, der Sie identifizieren könnte? Wenn möglich, eine einflussreiche Person …«
»Nein, da gibt es niemanden«, antwortete Hayden und spürte, dass ihm das Atmen schwerfiel. Reichte es denn nicht, dass er sein Schiff verloren hatte? Jetzt warf man ihm womöglich noch vor, ein Verräter zu sein – ein Verräter an der französischen Nation! »Sie müssen
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