Zu feindlichen Ufern - [3]
Kapitän in der Royal Navy diente. Das erlaubte schon der britische Stolz nicht. Seit der Unterredung mit Lacrosse war ihm jedoch klar geworden, dass die Franzosen so etwas ganz und gar nicht für unwahrscheinlich hielten.
Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht, die Tür schwang auf, und dann stieß man Archer in den Verschlag. Die Tür fiel zu. Hayden hörte, wie ein Riegel vorgeschoben wurde. Das Klirren des Schlüsselbunds wurde leiser.
»Mr Archer. Sind Sie verletzt?«
Der Leutnant schüttelte den Kopf, doch er schaute an seiner Kleidung hinab – er trug bereits wieder die britische Uniform –, als rechnete er mit Rissen im Stoff. »Nein, Sir.«
»Setzen Sie sich, Leutnant. Können Sie mir sagen, wie es der Crew im Augenblick geht?«
Archer achtete darauf, sich nicht den Kopf an einem der Balken zu stoßen. Er sah blass aus und schwankte leicht. »Alle Offiziere wurden an Bord dieses Schiffes gebracht, Kapitän. Die Crew blieb auf der Themis , die, soweit ich informiert bin, auf dem Weg nach Brest ist.« Erst jetzt sank er gegenüber von Hayden auf eine der Sitzbänke, stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab und umschloss sein schmales Gesicht mit beiden Händen. Er schien den Tränen nahe zu sein, fing sich dann aber. »Wir haben unser Schiff verloren, Sir«, flüsterte er, und die Worte klangen so endgültig und verzweifelt, dass Hayden glaubte, eine unumkehrbare Wahrheit aus den Tiefen der Unterwelt zu hören.
»Ja, leider, Mr Archer. Ich habe immer und immer wieder darüber nachgedacht und weiß nach wie vor nicht, was ich hätte tun sollen.«
»Es war wirklich großes Pech, Kapitän. Weiter nichts. Die Admiralität wird auch dieser Ansicht sein. Was für ein Jammer, dass es ausgerechnet uns treffen musste.«
Archer wusste nicht, was Benoît Hayden erzählt hatte. Haydens Karriere war so gut wie ruiniert, da er versagt hatte, diese wichtige Information nach England zu bringen. Dafür gab es keine Entschuldigung, zumal er vor Le Havre zuerst auf die französische Fregatte hatte feuern lassen. Seine Feinde, wo immer sie auch lauerten, würden ihm entgegenhalten, er hätte die Fregatte vorbeiziehen lassen müssen. Vielleicht würde man ihm sogar vorhalten, wertvolle Zeit vergeudet zu haben, als er auf Ransome und das Beiboot gewartet hatte.
Der Erste Leutnant schien nicht zu merken, wie verzweifelt sein Kapitän war. »Nun, ich denke, unsere Glückssträhne hatten wir lange genug, Sir«, stellte er lakonisch fest. »Dass wir es damals schafften, mit so wenig Wind aus dem Hafen von Toulon zu fliehen, war schon ein Wunder. Wir hätten uns denken können, dass uns das Pech eines Tages einholen würde.«
Hayden ging darauf nicht ein und fragte stattdessen: »Wo sind die anderen Offiziere? Sie sagten eben, alle seien an Bord gebracht worden?«
»Ich vermute, dass sie alle einzeln vom Kapitän verhört werden. Kapitän Lacrosse fragte mich nach Ihrer Herkunft, Sir, und warum Sie so gut Französisch sprechen. Ich sagte ihm, Ihr Vater sei Kapitän der Navy gewesen, betonte dann aber, dass ich über Ihre Familienverhältnisse sonst nicht Bescheid wisse.« Er beugte sich vor und flüsterte: »Ich denke, dass wir die Nationalität Ihrer Mutter besser verschweigen, Sir.«
»Ich danke Ihnen, Mr Archer. Das war sehr klug. Glauben Sie, dass auch die anderen begreifen, dass die Familie meiner Mutter in großer Gefahr sein könnte, wenn meine Herkunft bekannt würde?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Wickham und Hawthorne werden bestimmt kein Wort darüber verlieren. Und Mr Barthe – nun, manchmal spricht er, bevor er denkt.« Archer schaute kurz auf. »Die anderen Midshipmen – ich fürchte, die haben keine Vorstellung davon, was im Augenblick in Frankreich los ist. Ransome – das kann ich nicht beurteilen. Unser Schiffsarzt würde sich gewiss nie zu einer Aussage verleiten lassen. Er ist ohnehin sehr schweigsam, uns gegenüber bisweilen verschlossen. Er wird behaupten, nichts zu wissen, und wird den Franzosen höchstens seinen Namen verraten.«
Unter anderen Umständen hätte sich Hayden bei dieser Einschätzung hinsichtlich des Doktors amüsiert – denn er stimmte Archer in jedem Punkt zu.
»Was denken Sie, Sir, wie lange wird es dauern, bis es zu einem Gefangenenaustausch kommt?«
»Wenn ich das wüsste, Mr Archer. Manchmal dauert es Wochen, dann wiederum Monate. Die gute Nachricht ist, dass eine Menge französische Offiziere in England inhaftiert sind, daher dürfte es nicht schwierig sein,
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