Zu feindlichen Ufern - [3]
konnte die Gedanken seiner Crew nicht lesen, aber er ahnte, dass sie alle schon Geschichten von französischen Gefängnissen oder Hulks gehört hatten. In diesem Punkt konnte man den Männern nichts vormachen.
Die französische Flagge sank aufs Deck – Hayden wusste selbst nicht, warum. Jeden Augenblick würde sie erneut gehisst werden.
Er gab den Befehl, die Steuerbordgeschütze einzurennen, zu sichern und die Stückpforten zu schließen. Danach ließ er die Männer auf dem Vorderdeck und entlang der Laufbrücke an Backbord antreten.
»Leistet keinen Widerstand«, erklärte er. »Ich gehe davon aus, dass man uns nicht schlecht behandeln wird. Es ist keine Schande, wenn wir uns hier und jetzt ergeben, zumal wir es mit einem sehr viel größeren Schiff zu tun haben, in einer Flaute stecken und nicht mehr in der Lage sind, uns durch Flucht in Sicherheit zu bringen. Alle Männer meiner Crew haben ihre Pflicht getan, in einer Weise, die jeden Kommandanten mit Stolz erfüllen würde. Keiner hat bei seiner Arbeit versagt, keiner ist aus Angst zurückgeschreckt. Es war mir eine Ehre, Kapitän dieser Crew sein zu dürfen.« Hayden salutierte, worauf alle Männer den Gruß erwiderten.
Ein Boot von dem französischen Schiff kam längsseits, und ein junger Leutnant kletterte behände an Bord. Er verhielt sich zwar vorsichtig und abwartend, doch Hayden merkte dem jungen Mann an, wie aufgeregt er war, mochte er seine Aufregung auch zu verbergen suchen. Hayden empfing ihn bei der Reling. Der Leutnant – kaum älter als zwanzig – entbot Hayden seinen Gruß, den Hayden erwiderte. Schließlich sah Hayden sich zu einem Schritt gezwungen, den er nie für möglich gehalten hätte. Doch er wusste, was er zu tun hatte. Er bot dem Leutnant seinen Degen an.
»Mein Kommandant hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass Sie Ihren Degen behalten dürfen, Capitaine . Mein Boot bringt Sie an Bord unseres Schiffes. Machen Sie sich keine Sorgen, Ihre Crew werden wir fair behandeln.« Der junge Mann bedeutete ihm, die Themis zu verlassen. Ein letztes Mal blickte Hayden in die erstarrten Gesichter seiner Männer und kletterte hinab in das Beiboot.
Als das Boot ablegte, rief jemand an Bord der Themis : »Kapitän Hayden, er lebe dreimal hoch!«
Die Männer jubelten dreimal, und zwar mit einer solchen Inbrunst, dass die Rufe meilenweit zu hören waren. Und obwohl Hayden gerührt war – mehr als er in Worte zu fassen vermochte –, glaubte er, aus diesen Rufen so etwas wie Trotz herauszuhören. Seine Crew hatte zwar das Schiff verloren, aber ihren Stolz würden die Männer nicht so schnell verlieren.
Taue wurden von dem französischen Schiff zur Themis geschafft, bewaffnete Seesoldaten kamen mit einer Barkasse längsseits. Sein Schiff, das sich in der Dünung leicht hob und senkte und halb in Nebel gehüllt war, kam ihm völlig einsam und verloren vor. Eine Prise für den Feind. Ein Symbol seines Versagens. Er spürte, wie zornig er auf Stephens war, weil der ihm mitgeteilt hatte, vor Le Havre kreuze nur eine einzelne französische Fregatte. Dennoch machte sich Hayden bewusst, dass allein er für dieses Desaster verantwortlich war. Pech mochte hinzugekommen sein, aber er hatte die falschen Entscheidungen getroffen. Als er sich im Boot noch einmal zur Themis umdrehte, sah er einige seiner Männer. Hoffnungslosigkeit beherrschte ihre Mienen. Bislang war es ihm immer gelungen, die Crew vor allem Unheil zu bewahren – ganz gleich, was passiert war –, doch diesmal konnte er nichts mehr für sie tun. Sie waren fortan Gefangene der Franzosen, und die Franzosen brachten sich zurzeit gegenseitig zu Tausenden um – wie sollten sich britische Seeleute in dieser fremden Welt zurechtfinden?
Einige seiner Matrosen wurden von der Reling fortgeholt und in die Wanten geschickt, um die Segel einzuholen.
Mehr bekam Hayden nicht zu sehen von seinem Schiff, da das Beiboot beim französischen Vierundsiebziger längsseits kam. Als er die Bordwand erklomm, machte er sich bewusst, dass das Schicksal seiner Crew nicht mehr in seiner Hand lag. An Deck wurde er von dem Offizier empfangen, der zuvor gefordert hatte, er möge sich ergeben. Der Franzose salutierte, und Hayden erwiderte den militärischen Gruß.
»So«, begann der Kapitän in kultiviertem Französisch, »jetzt habe ich die Ehre, endlich le comte kennenzulernen.«
Hayden war mehr als überrascht. »Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen, Capitaine «, entgegnete er. »Denn ich bin kein Graf und
Weitere Kostenlose Bücher