Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe

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gehalten hätte, das alle Crewmitglieder ins Herz geschlossen hatten. Der Bursche wusste kaum, wie ihm geschah.
    Hayden führte die Männer über die Leiter ins nächst höhere Deck. Als er dann einen Fuß auf die Sprosse am Niedergang setzte, war vom Deck ein furchtbares Krachen zu hören. Holz zersplitterte, das Rigg riss. Der Kreuzmast brach und knickte wie ein Zündholz über Bord. Die Erschütterungen gingen bis ins unterste Deck. Sie erreichten das Zwischendeck, Hawthorne bildete die Nachhut. Und erst jetzt, im Zwielicht, sah Hayden, dass seine Kameraden vor Kälte schlotterten und blaue Lippen hatten.
    »Ist irgendjemand verletzt?«, erkundigte er sich, als er sah, dass Archer an der Hand blutete.
    Allgemeines Kopfschütteln, selbst Archer verbiss sich die Schmerzen.
    »Doktor, würden Sie sich um Mr Archers Hand kümmern, sobald wir an Deck sind?«
    »Sicher, Sir«, bot Griffiths an. Hayden zählte seine Männer und eilte dann weiter voraus – zwölf Engländer: Hawthorne, Griffiths, Archer, Ransome, Wickham, Hobson, Madison, Gould, Barthe, Franks, der Reverend und er selbst. Und Pierre, der Aspirant .
    Kaum hatten sie das obere Batteriedeck erreicht, als sich an Steuerbord zwei Kanonen lösten und über das Deck rutschten: Die eine fiel von ihrer Lafette, rollte über die Planken und prallte gegenüber in ein weiteres Geschütz. Auch dort zersplitterte der hölzerne Lafettenschlitten. Die andere Kanone rutschte die Leiter hinunter und krachte in das untere Batteriedeck.
    »Zu gefährlich hier!«, rief Hayden Barthe zu. »Folgt mir!«
    Rasch stiegen sie an Deck und fanden sich in einem Sturm wieder. Der Anblick, der sich ihnen bot, wirkte apokalyptisch: Verzweifelt klammerten sich Männer an die Wanten oder die Bordwand, die noch nicht von den Wassern umspült war, als bedeutete jedes Loslassen ein Hinabgleiten in die Hölle. Die Wellen schlugen über die Reling, die Gischt sprühte über die Planken. Der Vierundsiebziger neigte sich gefährlich nach Backbord, das Schanzkleid war gerade noch im Wasser. Bei jeder Welle hob sich der Rumpf ein wenig, und wann immer die Droits de l’Homme nach unten sackte, barsten Spanten oder die Beplankung. Die Küste mochte eine halbe Meile oder mehr entfernt sein, aber das Wasser, das die Schiffbrüchigen vom Festland trennte, glich einem einzigen tödlichen Strudel aus grauen, kalten Fluten.
    Als wäre das noch nicht genug, trieb der Wind den Regen gnadenlos über Deck. Die Tropfen prasselten Hayden ins Gesicht und fühlten sich an wie Eissplitter. Da er seinen Hut verloren hatte, hielt er sich schützend eine Hand vors Gesicht.
    »Herr, erbarme dich unser«, hörte Hayden seinen Master murmeln.
    Die Männer der Themis schauten sich an Deck um, als wären sie gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht und fänden sich im Hades wieder – unerwartet und völlig unverdient.
    »Gütiger Gott, Kapitän!«, jammerte der junge Hobson. »Sind wir verloren?«
    »Nein, Mr Hobson, wir sind noch nicht verloren«, entgegnete Hayden mit fester Stimme, in der Trotz und Entschlossenheit lagen. »Und wir werden auch nicht sterben, wenn wir die Ruhe bewahren und uns nicht von Panik und Angst unterkriegen lassen. Ich glaube zwar nicht, dass wir Boote zu Wasser lassen können, da wir sie bei diesem Seegang nicht an Land bekommen, aber ich hoffe, dass dieser Sturm bald nachlässt. Bis dahin müssen wir ruhig bleiben. Wenn alle meine Befehle und die Anweisungen von Kapitän Lacrosse befolgen, werden wir überleben. Dieses Schiff wird nicht so schnell auseinanderbrechen. Geduld und Zuversicht sind jetzt gefragt. Gott wird uns beschützen.«
    Als Hayden seine kurze Ansprache beendet hatte, wandte sich Barthe an seine Kameraden. Er hatte sich so an die Reling gelehnt, dass sein verletzter Fuß entlastet war. »Ich denke, ich bin der Einzige von uns, der schon einmal das Pech hatte, Schiffbruch erlitten zu haben, meine Herren. Und ich sage Ihnen, Panik ist ein schlimmerer Feind als die See. Aber wenn wir der Angst nicht nachgeben und uns an die Befehle des Kapitäns halten, stehen die Chancen gut, dass wir mit dem Leben davonkommen. Geben wir jedoch der Angst nach, die jeder von uns verspürt, werden wir alle sterben.« Der alte Master fixierte seine Midshipmen mit einem düsteren Blick, als wollte er damit erreichen, dass auch alle die Tragweite seiner Worte verstanden hatten. Hayden hatte indes den Eindruck, dass die jungen Burschen jetzt erst recht Todesangst verspürten, aber Barthe hatte