Zu feindlichen Ufern - [3]
Fraternité bedeuten, dass niemand mehr verpflichtet ist, Befehle von einem anderen entgegenzunehmen, sondern machen kann, was ihm beliebt. Unser aller Leben hängt davon ab, dass die Männer hier die richtigen Handgriffe zur richtigen Zeit tun – aber ich muss zu meiner Schande bekennen, dass ich nicht glaube, dass meine Crew sich unterordnen wird.«
»Sie können sich auf meine Leute verlassen, Capitaine «, versuchte er den Franzosen zu beruhigen, ohne zu viel Stolz in seine Worte zu legen. »Die Männer sind standhaft und haben ein ums andere Mal bewiesen, dass sie Gefahren gewachsen sind. Sie werden das in Angriff nehmen, was man von ihnen verlangt. Aber wir sind nur zwölf Mann.«
»Es könnte durchaus sein, dass ich Sie um Hilfe bitten muss, Capitaine Hayden, und um die Unterstützung Ihrer Crew. Unsere Situation ist mehr als bedenklich. Bei diesem Sturm werden die Männer auskühlen, zumal sie nass bis auf die Haut sind. Wir haben weder Nahrung noch Wasser. Das Wetterglas fiel weiter, als ich es zuletzt sah. Dieser Sturm könnte also noch einen Tag anhalten, und ich habe schon erlebt, dass die Frühjahrsstürme lange wüten.« Sein Blick wanderte zu der Küste in der Ferne, die inzwischen in Dunkelheit gehüllt war. »Denken Sie, dass es möglich ist, bei diesem Wellengang an Land zu rudern?«
»Vielleicht, aber ein Boot könnte bei diesen Wellen nicht zum Wrack zurückkehren. Es dürfte fast unmöglich sein, die Boote sicher zu Wasser zu lassen.«
Hayden sah, dass Lacrosse zustimmend nickte. Wie es schien, hatte er den Franzosen nur in dessen Einschätzung bestärkt.
»Sollte der Sturm nicht bis Tagesanbruch abgeflaut sein, Capitaine Hayden, ordne ich an, ein Boot ausschwingen zu lassen. Vielleicht schicke ich meine Leute dadurch in den Tod, wer weiß, aber wir müssen es zumindest versuchen. Die Männer haben ohnehin schon genug Angst, hier auf dem Wrack festzusitzen, da werden sie kaum mehr Angst haben, in ein Boot zu steigen. Zumal dadurch wenigstens die Aussicht auf Rettung besteht.«
»Ich habe Männer, die ich schicken könnte«, bot Hayden an.
»Ich werde vielleicht auf dieses Angebot zurückkommen, Capitaine . Aber ist das wirklich Ihr Ernst?«
Hayden versicherte dem Kommandanten, dass er zu seinem Wort stand.
»Ich danke Ihnen, Capitaine . Für Sie kann ich nicht viel in dieser Situation tun, aber zögern Sie nicht, mich um Hilfe zu bitten, wenn Sie welche benötigen.«
Die Zusage rührte Hayden, auch wenn beiden klar war, dass der eine dem anderen nicht viel Hilfe anbieten konnte. Gleichwohl spürte Hayden, dass Lacrosse alles tun würde, was in seiner Macht stand.
»Haben Sie Dank, Monsieur «, antwortete er.
»Bonne chance.«
Das Deck war gerade so weit geneigt, dass die Männer darauf sitzen konnten, ohne abzurutschen, aber es blieb gefährlich, auf den nassen Planken zu laufen. Alle kauerten unterdessen im Schutz des Schanzkleids an Steuerbord oder im Windschatten der Finknetze, in denen die Hängematten aufbewahrt wurden. So waren die Männer zwar einigermaßen vor dem Wind geschützt, nicht aber vor dem Regen, der erbarmungslos auf das Wrack prasselte.
Hayden zitterte seit einiger Zeit und sah, dass es den Leuten nicht anders erging. Die kommende Nacht würde allen viel abverlangen.
Die Männer schienen sich zu ihren alten Backschaften zusammenzukauern, um wenigstens ein bisschen Wärme zu finden. Die eigenen Kameraden schmiegten sich jetzt auch eng an das Schanzkleid, aber Hayden befürchtete, dass die Kälte ihnen allen bis auf die Knochen gehen würde.
Dunkelheit schloss sich um das Wrack, doch der Sturm flaute nicht ab. Das Heulen des Windes spielte unheimliche Töne in dem geborstenen Schiff, während die Wellen mit betäubender Regelmäßigkeit gegen den Rumpf krachten. Eiskalte Gischtfetzen gingen auf die zitternden Männer nieder. Allmählich stumpfte man gegen die Laute der Naturgewalten ab und zog sich gleichsam in sein Schneckenhaus zurück, um im Innern ein wenig Stille zu finden.
Hayden spürte, dass seine Hände und Füße zu schmerzen begannen, daher vergrub er die Hände so gut es ging in den Achselhöhlen. Die Erschöpfung raubte ihm die Kraft, und er machte sich schmerzlich bewusst, dass er während der letzten drei Tage nur wenig Schlaf gefunden hatte. Bald legte er sich auf die Planken, zog die Knie an die Brust und schloss die Augen. Der Regen fiel ihm ins Gesicht, der Wind riss an ihm, als käme da eine Hand, die ihn aus dem Schlummer zu schütteln
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