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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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versuchte. Immer wieder glitt er in den Schlaf des Vergessens, doch genauso schnell riss ihn irgendein Laut zurück in die Realität, bis er in einen Zustand von Lethargie verfiel. Seine Gliedmaßen wurden in der Kälte taub, sein Geist wurde träge und leer.
    So kroch die Nacht schier endlos voran. Weder eine Schiffsglocke noch der Mond zeigten die Stunden an, aber Hayden ertappte sich bei dem Gedanken, dass es keine Dämmerung mehr für die Schiffbrüchigen geben würde.
    Hin und wieder richteten sich die Männer in eine sitzende Position auf und schlugen mit den Armen gegen das Holz, weil sie kaum noch etwas spürten. Ab und an, tief in der Nacht, hörte Hayden Rufe aus der Ferne, doch dann merkte er, dass die Stimmen aus dem halb gefluteten Batteriedeck durch die beschädigten Decksplanken drangen. Er glaubte, jemanden auf Französisch fluchen zu hören. Es schien zu Handgreiflichkeiten zu kommen, doch dann herrschte wieder Stille. Wäre die Droits de l’Homme sein eigenes Schiff gewesen, hätte er es als seine Pflicht erachtet, einem solchen Vorfall nachzugehen, aber dies war Lacrosses Bereich. Hayden glaubte ohnehin nicht, dass die französischen Matrosen Befehle von einem englischen Gefangenen entgegennehmen würden, da sie sich bereits den eigenen Offizieren widersetzt hatten.
    Erneut glitt er in den Zustand zwischen Schlafen und Wachen, lauschte den bedrohlichen Tönen des Windes und kniff die Augen zu, wenn wieder einmal die salzige Gischt des Atlantiks über die Bordwand spritzte. Als er abermals aus dem Schlummer gerissen wurde und die Augen aufmachte, nahm er etwas aus den Augenwinkeln wahr. Sofort setzte er sich auf und erkannte, dass in der Ferne Feuerschein zu sehen war – zweifelsohne auf dem Strand.
    »Signalfeuer«, hörte er Griffiths’ Stimme über dem Wind. »Sie wurden vor einer Weile entzündet.« Auch der Doktor hatte sich hingesetzt und die Hände in seine Jacke geschoben. »Sind die gekommen, um uns zu retten?«, fragte er mit brüchiger Stimme. Er zitterte genauso stark wie Hayden.
    »Vielleicht – oder dort halten Leute Wache und warten, dass das Schiff auseinanderbricht und das Meer Treibgut an Land spült.« Griffiths spähte stumm über die Bordwand und schien nachzudenken.
    »Wie geht es Ihnen, Doktor?«, fragte Hayden.
    »Bin bis auf die Seele durchgefroren, Sir. Sie werden es kaum glauben, aber die letzten Stunden habe ich damit verbracht, darüber nachzudenken, in welchen Stadien der menschliche Körper von Kälte übermannt wird. Aus medizinischer Sicht, versteht sich. Sollte ich das hier überleben, dürften meine Beobachtungen eine faszinierende Studie ergeben. Ich schreibe vielleicht einen Artikel, wer weiß.«
    »Wie ich sehe, haben Sie noch Nutzen aus dieser Nacht gezogen, Doktor. Bemerkenswert. Ich hingegen liege hier mehr oder weniger betäubt auf den Planken, mit tauben Gliedmaßen und leerem Geist. Ein eigenartiges Delirium, in das man abgleitet. Man kann es weder als Traum noch als Wachsein bezeichnen …«
    Jetzt setzte sich auch der Master hin. Vielleicht hatte ihn das Gespräch geweckt. »Sehen Sie es mir nach, Dr. Griffiths«, sagte er, »aber ich kann meinen Schwanz nicht mehr spüren. Wenn ich morgen noch lebe, kann ich ihn bestimmt nie mehr benutzen.«
    »Oh, Sie werden feststellen, dass Ihre Männlichkeit wieder zum Einsatz kommen kann, Mr Barthe«, versicherte Griffiths dem Master, »sobald der Ofen Ihres Körpers wieder zu brennen beginnt.«
    »Das will ich doch hoffen.«
    »Das hoffen wir alle«, erwiderte Griffiths, konnte aber kaum noch sprechen, da sein Unterkiefer so stark zitterte.
    Hayden legte sich wieder hin, diesmal aber so, dass er immer noch den Schein der Feuer sehen konnte. Der Gedanke, dass dort drüben auf dem Festland Menschen waren, gab ihm neue Hoffnung.
    Irgendwann vor Anbruch der Morgendämmerung konnte Hayden es nicht mehr aushalten, stand auf und begann, auf dem schrägen Deck die steif gefrorenen Arme und Beine zu bewegen. Er hatte das Gefühl, dass ihm das Blut im Leib gefroren wäre, wenn er noch länger liegen geblieben wäre. Noch verhieß kein Lichtstreif am Horizont den Anbruch des Tages, aber trotzdem konnte man den Morgen fühlen. Der Sturm blies unverändert, und die stahlgraue See wogte so hoch wie vor Stunden, aber die Ebbe hatte eingesetzt und den Wasserstand verändert. Hayden fragte sich, ob die Felsen nun zu sehen waren, auf die die Droits de l’Homme gelaufen war. Ein Boot könnten sie in diesem Fall nicht

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