Zu gefährlicher Stunde
Jeffers’ Schwägerin musste ich mich langsam herantasten.
Das Owl Café hatte selbst nach der
Mittagszeit noch gut zu tun. Die Kellnerinnen trugen dampfende Teller herbei.
Ich sah Leute kommen und gehen, viele blieben stehen und plauderten mit
Bekannten. Und die ganze Zeit wurde ich von den Eulen beobachtet.
Es schien Plünderte zu geben:
ausgestopfte Eulen, Korbeulen, Glaseulen, Keramikeulen, Salz- und
Pfefferstreuer in Eulenform. Eulen auf den Platzdeckchen, Eulen auf den
Servietten. Aus allen Ecken funkelten mich gelbe Augen an. Niemand sonst schien
sie zu beachten oder sich darüber zu wundern.
Woraufhin ich mir überlegte, wie
schnell doch Dinge zur Normalität werden konnten. Diese Leute aßen vermutlich
mehrmals pro Woche unter den prüfenden Blicken großäugiger Vögel und bemerkten
sie vermutlich nicht einmal mehr. So wie ich schon lange nicht mehr den
Verkehrslärm auf der Bay Bridge beachtete, die sich über unser Büro am Pier
spannte. Und so wie ich bis vor kurzem auch einen anderen Aspekt meines Lebens
für ziemlich normal gehalten hatte...
Es ist nicht normal, so zu leben, McCone.
Was ist denn so falsch an unserem
Leben?
Es ist chaotisch, ohne Wurzeln. Wir
brauchen Beständigkeit. Bindungen.
Himmel, Ripinsky, komm mir nicht damit!
Was hast du dagegen, dich zu binden?
Es ist... unnötig. Ich meine, unsere
Bindung zeigt sich doch in allem, was wir tun und sagen.
Manchmal ist das nicht genug. Manchmal
muss man Dinge beim Namen nennen, niederschreiben...
Mein Essen kam. Ich verbannte die
unangenehme Erinnerung und stürzte mich auf meinen Burger.
Essen war doch der beste Tranquilizer.
Patty, die Schwägerin von Dan Jeffers,
wohnte in einem Trailerpark am südlichen Stadtrand. Üppige Rosensträucher
wucherten neben einem Weg, der zu der überdachten Veranda neben ihrem Trailer
führte. Unter den Zweigen lugte ein Trio bösartig blickender Gartenzwerge
hervor. Eine kleine, drahtige Frau mit blondem Haar und dunkel gegerbter Haut
trat oben an die Treppe.
»Ms McCone? Ich bin Patty Jeffers.
Kommen Sie rauf, nehmen Sie Platz. Ich warte nur noch auf meinen Mann.«
Die Dachterrasse war mit
schmiedeeisernen Gartenmöbeln und blühenden Pflanzen vollgestellt. In einer
Ecke drehte sich ein Tischventilator, der zwar die Zweige der Pflanzen bewegte,
aber keine Kühle spendete. Ich schätzte die Temperaturen mittlerweile auf
fünfunddreißig Grad und löste mein klebendes T-Shirt vom Rücken, bevor ich mich
setzte.
Patty Jeffers stand vor mir und knetete
die Hände. »Limonade. Ich habe sie frisch gemacht. Möchten Sie...?«
»Danke, ja.«
Sie eilte nach drinnen und kam keine
Minute später mit einer Karaffe und drei Gläsern zurück. »Offen gesagt, ich
habe meinen Mann bei der Arbeit angerufen«, sagte sie beim Einschenken.
»Nachdem Sie sich gemeldet hatten, war ich mir nicht ganz sicher, ob ich
wirklich mit Ihnen reden sollte. Immerhin ist Dan sein Bruder, nicht meiner.
Lou — das ist mein Mann — hat gesagt, es sei in Ordnung, aber er will dabei
sein und — « Sie hielt inne und neigte den Kopf. »Sein Auto. Das muss er sein.«
Lou Jeffers war ein großer Mann mit
schütterem Haar, der einen Blaumann mit gesticktem Ford-Abzeichen trug. Er
begrüßte mich, drückte seiner Frau aufmunternd die Schulter und nahm die
Limonade entgegen. Seine ausgestreckten Beine nahmen fast den ganzen Raum ein.
Er betrachtete meine Visitenkarte. »Sie
interessieren sich also für Danny. Warum?«
»Ich glaube, er hat einen Unfall mit
angesehen, den ich untersuche.«
Jeffers warf seiner Frau einen
wissenden Blick zu. »Was für einen Unfall?«
»Im Juni ist ein Wanderer im Olompali
Regional Park abgestürzt.«
»Ich hab dir doch gesagt — «, setzte
Patty Jeffers an.
Ihr Mann brachte sie mit einem
Stirnrunzeln zum Schweigen. »Warum?«
»Warum was?«
»Warum untersuchen Sie die Sache?«
»Ein Angehöriger möchte nähere
Einzelheiten erfahren. Damit der Fall abgeschlossen werden kann.«
Er nickte und schaute in seine
Limonade. Dann hob er das Glas, nahm einen Schluck und sah seine Frau an. »Was
soll’s, Pats? Wir wissen nicht, wo Danny ist. Wenn wir mit der Lady reden,
hilft sie uns vielleicht, ihn zu finden.«
»Gut, wenn du meinst.«
Jeffers wandte sich an mich. »Wenn wir
Ihnen sagen, was wir über diesen... Unfall wissen und Sie Danny irgendwann
finden, sagen Sie uns dann, wo er ist? Wir haben seit Ende Juni nichts mehr von
ihm gehört.«
»Selbstverständlich.«
»Gut, du zuerst,
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