Zu gefährlicher Stunde
gebeten. Ein Kumpel und er wollten sich mit einer
Saftbar selbstständig machen. Lou steckte zweitausend Dollar Ersparnisse in das
Geschäft, woraufhin er ein Jahr lang nichts mehr von Dan hörte. Bis dieser ihn
dann wegen eines weiteren Darlehens anrief.
»Er sagte, die Saftbar wäre nicht
gelaufen. Ich habe gedacht, wie kann eine Saftbar in Südkalifornien nicht
laufen? Aber dumm, wie ich war, habe ich ihm noch mal Geld geliehen, weil er
einen Surferladen aufmachen wollte. Ging ebenfalls in die Hose. Als er mich um
das nächste Darlehen anhaute, war mir mittlerweile klar geworden, dass er mein
Geld für Drogen ausgab. Da hab ich den Hahn zugedreht.«
Schließlich war Dan 1997 in einer
verregneten Winternacht bei Lou und Patty aufgetaucht. Er wirkte ausgemergelt
und zerbrechlich und erklärte, er sei erst kürzlich aus einer staatlich
verordneten Entziehungskur entlassen worden. Lou und Patty nahmen ihn bei sich
auf und sorgten dafür, dass er das Studio auf dem Grundstück seiner Mutter in
Los Alegres beziehen konnte.
»Ich half ihm, einen alten Bus
aufzumöbeln, und Patty versuchte, das verfügbare Geld mit ihm einzuteilen. Wir
achteten darauf, dass er zum Arzt ging und die Rezepte für seine Medizin
einlöste. Aber dann merkten wir, dass er auch Drogen nahm, die der Arzt nicht
verschrieben hatte. Er verbrachte viel Zeit in dem Park, rauchte Gras und
sehnte sich nach den guten alten Zeiten zurück. Darum hatte ich auch wenig
Mitleid, als er mit der Story über den Mord hier auftauchte. Wie gesagt, ich
wollte, dass er damit zur Polizei ging, aber als er sich weigerte, habe ich ihm
an Geld gegeben, was ich gerade hatte, und gehofft, dass er für immer
verschwindet. Was er auch getan hat. Jetzt tut es mir furchtbar leid, aber soll
ich Ihnen was, sagen? Vermissen tu ich ihn nicht. Überhaupt nicht.«
Die Fahrzeuge vor mir setzten sich
wieder in Bewegung. Ich gab Gas und schaltete hoch.
Empfinde ich das Gleiche für Joey?
Vermisse ich ihn auch nicht?
Ja und nein. Sicher, er war keine
solche Last wie Dan Jeffers. Er hat uns nie um etwas gebeten. Dennoch machten
wir uns ständig Sorgen um ihn. Und diese Sorgen vermisse ich nun wirklich
nicht.
Nein, ganz und gar nicht.
Aber ich vermisse Joey.
Es war schon nach sechs, als ich den
Pier erreichte. Kein bekanntes Auto war zu sehen, aber aus dem Büro, das Julia
und Craig sich teilten, drang noch schwaches Licht. Ich warf einen Blick
hinein. Julia hing zusammengesunken über ihrem PC. Über den Monitor glitt ein
bunter Fischschwarm.
Als sie mich bemerkte, drehte sie sich
herum. Sie sah schlimm aus, die Kleidung schmutzig und zerknittert, das Haar
fettig. Wieso war sie in diesem Zustand ins Büro gekommen? Wir schauten uns
wortlos an, dann versuchte sie zu lächeln, verzog aber nur gequält das Gesicht.
Einen Moment lang fühlte ich mich in
mein Gespräch mit Marguerite Hayley zurückversetzt: Allerdings sollten Sie
darauf gefasst sein, dass Sie sich womöglich von Ms Rafael trennen müssen. Dass
Sie auf Distanz gehen müssen, um Ihre Lizenz zu retten.
Wie einfach. Sie entlassen, mich an den
Kosten des Gerichtsverfahrens beteiligen und gleichzeitig darauf hinarbeiten,
dass das BSIS die Anzeige gegen mich fallen ließ. Und weitermachen, als wäre
nichts gewesen.
Nur hätte ich gewusst, dass ich ihr
keine faire Chance gegeben hatte.
Oder doch? Die Beweise gegen sie waren
erdrückend, ihre Erklärungen mehr als dürftig. War ich blind, weil ich sie gern
hatte? Oder hatte ich bloß nicht die
richtigen Fragen gestellt? Am besten, ich fand es heraus, solange mir noch alle
Wege offen standen.
»In fünf Minuten in meinem Büro.«
Julia betrat zaghaft das Büro und
wartete, bis ich ihr einen Platz anbot. Sie war in der Zwischenzeit auf der
Toilette gewesen und hatte sich das Gesicht gewaschen. Die Verbesserung war
gering, aber ich deutete sie als gutes Zeichen.
»Ich möchte mich bei dir bedanken, weil
du Glenn gebeten hast, mich zu vertreten. Und dass du zu mir hältst.«
»Die Agentur steht hundertprozentig
hinter dir. Craig ist in Südkalifornien und untersucht Alex Aguilars
Hintergrund. Ich habe auch einige Spuren verfolgt.«
»Ich würde so gern hoffen, dass es
hilft, aber mir kommt es vor, als würde sich nie etwas ändern.«
»Wie meinst du das?«
»Sieh dir meine berufliche Entwicklung
an, seit ich aus der Jugendhaft entlassen wurde. Zuerst verliere ich die Stelle
als Zimmermädchen im Motel, weil mich ein Typ begrapscht hat und ich ihm
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