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Zu gefährlicher Stunde

Zu gefährlicher Stunde

Titel: Zu gefährlicher Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Glucometer Elite
anschaffen, dass sie die Leiter losließ und ich fast auf sie drauffiel. Ich
bedankte mich in Ralphs Namen für ihre Bemühungen, bat sie, den Preis des
Gerätes in Erfahrung zu bringen, und sah zu, dass ich sie wieder los wurde.
    Nun standen sieben Kartons in meinem
Büro. Sie enthielten die Berichte für die verschiedenen Anwälte bei All Souls,
in deren Auftrag ich in bestimmten Fällen ermittelt hatte. Aussagen,
Schriftsätze oder gerichtliche Dokumente waren nicht darunter, aber der Rest
würde ausreichen, um mein Gedächtnis aufzufrischen. Im Grunde ging es in den
Berichten nur um die übliche Routine: Überwachung von Angestellten,
Zeugenbefragungen in Zivilverfahren, Schuldnerermittlungen. Meist hatte ich die
Klienten gar nicht kennen gelernt.
    Andererseits war da natürlich der
Albritton-Fall, der zu einer Verurteilung wegen Mordes geführt hatte, aber der
Täter war seit langem auf Bewährung frei und in einen anderen Bundesstaat
gezogen. Der Mann hinter dem »Two Penny Murder« von 1956, der mit meiner Hilfe
gefasst worden war, starb in der Haft an einem Herzanfall. Ich hatte Fälscher
und Schwindler ins Gefängnis geschickt, Sorgeberechtigten ihre Kinder
zurückgebracht, Versicherungsbetrug aufgedeckt, Diebesgut sichergestellt und in
einigen wenigen Fällen auch Menschen laufenlassen, deren Vergehen niemand
geschadet hatten. Letztlich gelangte ich zu dem Schluss, dass keiner meiner
Fälle für All Souls ernsthafte Rachepläne gerechtfertigt hätte. Die meisten
waren einfach zu unbedeutend und zu lange her.
    Sie kamen mir deprimierend normal vor.
Damals hatten die Anwälte und ich geglaubt, an vorderster Front zu kämpfen und
die Welt zu verändern. Was aber hatten wir tatsächlich bewirkt? Wir hatten
triviale Angelegenheiten für mehr oder minder mittellose Klienten geregelt, von
denen sich die meisten hinterher über unsere Honorare beschwert hatten, die
ohnehin nach dem Einkommen der Klienten gestaffelt waren. Und was bewirkte ich
heute? Die Klienten waren wohlhabender und neigten seltener zu Beschwerden,
aber...
    Na schön, McCone, du bist keine
Gehirnchirurgin oder Friedensaktivistin geworden, aber deine Arbeit macht es
den Klienten leichter, in dieser Welt zurechtzukommen. Es ist eine legitime
Tätigkeit und eine verdammt wichtige dazu.
    Nachdem ich mir versichert hatte, dass
auch ich einen Platz im größeren Ganzen besaß, ließ ich die Akten auf dem Boden
liegen und goss mir in der Küche ein Glas Wein ein. Das Fenster über der Spüle
war beschlagen, im Haus wurde es kühler. Statt die Heizung aufzudrehen, ging
ich ins Wohnzimmer und machte ein Feuer im Kamin. Ich kuschelte mich aufs Sofa
und ging im Geiste die wichtigeren Fälle durch, die ich seit der Gründung
meiner Agentur bearbeitet hatte.
    Am persönlichsten war der Diebstahl
meiner eigenen Identität gewesen. Aber die Täterin befand sich noch in einer
Nervenheilanstalt, und falls sie, was unwahrscheinlich war, irgendwann
entlassen wurde, musste man mich offiziell benachrichtigen. Bisher hatte ich
nichts davon gehört. Ted und sein Partner Neal waren einmal Ziel
schwulenfeindlicher Belästigungen gewesen, bei denen die gesamte Agentur
ermittelte, doch der Täter saß sicher hinter Gittern. Ein Mann, der seine Frau
getötet hatte, um an ihr Vermögen zu gelangen, wartete auf seine Hinrichtung,
und ich konnte mir kaum vorstellen, dass er aus der Todeszelle heraus seinen
Racheplan verfolgte. Vielleicht hatten meine Mitarbeiter etwas herausgefunden,
aber ich bezweifelte es.
    Das Telefon klingelte. Ich fuhr
zusammen und sah auf die Uhr. Fast Mitternacht. Ein Mitarbeiter oder Hy, der
meines Schweigens müde war und eine Antwort auf seinen Antrag verlangte? Ich
griff nach dem Hörer.
    Schweigen, aber ich spürte, dass jemand
in der Leitung war.
    »Hallo?«
    Das Schweigen hielt an.
    »Hallo!«
    Klick.
    Na schön, zuerst bist du in meinen
Wagen eingedrungen, jetzt dringst du bei mir zu Hause ein. Nun bin ich am Zug.
    Nimm dich in Acht, du Mistkerl.

Samstag, 19. Juli.

 
     
     
     
     
    »Und nun zu den Lokalnachrichten...«
    Während des Irakkrieges hatte ich mir
angewöhnt, die Morgennachrichten zu sehen, und war bis jetzt dabei geblieben.
Heute aber, so beschloss ich mit einem Blick auf den kleinen Fernseher, wäre
der richtige Tag, um wieder damit aufzuhören. Die Nachrichten waren einfach zu
deprimierend — wer möchte schon beim Frühstück von einem Rekorddefizit des
Bundeshaushalts, einem Amtsenthebungsverfahren gegen

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