Zu gefährlicher Stunde
verschwand.
Der Pantomime von vorhin rannte neben
mir her und äffte meine Bewegungen nach.
Herrgott, nicht schon wieder!
»Hau ab!«, rief ich.
Er imitierte meine Mundbewegungen.
»Arschloch!«
Sein Mund zuckte. Die Leute drängten
sich lachend hinter uns.
Schön für euch!
Noch ein paar Meter bis zur Treppe. Ich
schoss nach links, beschleunigte. Schlug einen Haken nach rechts, packte das
Geländer, rannte hinunter.
Hinter mir hörte ich ein Stöhnen, als
der Pantomime vor die Wand oben an der Treppe knallte.
Nächstes Mal lässt du lieber die Finger
von mir, Freundchen.
Als ich die Straße erreichte, war
Leonard natürlich weg, und ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen des
Pantomimen. Wenn er sich nun verletzt hatte? In letzter Zeit verspürte ich
zunehmend den Drang, es Leuten heimzuzahlen, die mich ärgerten, doch war ich
selten handgreiflich geworden und hatte nie jemandem wehgetan.
Was war nur mit mir los?
Vielleicht lag es an der Weltlage. Hier
und in Übersee verloren Menschen sinnlos ihr Leben; ganze Länder wurden
verwüstet; eine ehemals gesunde Wirtschaft ging den Bach runter; Steuersenkungen
für Reiche, während Bildungs- und Gesundheitssystem am Boden lagen; die offen
zur Schau getragene Haltung: »Mir geht es gut, die anderen interessieren mich
nicht.« All das reichte, um auch gemäßigte Leute in Zorn zu versetzen.
Nein, meine Haltung war nicht extrem,
nur fehlgeleitet.
Ich sah auf die Uhr und ging zu meinem
Wagen. Halb vier. Hy würde vermutlich um fünf auf dem North Field des Oakland
Airport landen. Er würde etwa vierzig Minuten brauchen, um Two-Seven-Tango
fertigzumachen und eine Mitfahrgelegenheit in die Stadt zu finden, wo er seinen
altersschwachen Morgan in einer Garage stehen hatte. Falls der Wagen ansprang —
er war in dieser Hinsicht nicht sonderlich zuverlässig — , wäre er gegen halb
sieben bei mir zu Hause.
Da ich weder Leonards Telefonnummer
noch ihre Adresse kannte, hatte es wenig Sinn, sie zu verfolgen. Außerdem hatte
ich Adah versprochen, bei ihr vorbeizuschauen und ihr zu sagen, was ich über
Johnny Duarte wusste. Um es mir mit meiner Freundin nicht zu verderben, wendete
ich den MG und fuhr in Richtung Marina District.
Adah und Craig wohnten in einem Haus im
spanischen Stil an der North Point Street, in dessen Innenhof üppig blühende
Rosen um einen Springbrunnen rankten. Ich roch an einer korallenfarbenen Blüte,
die besonders exotisch duftete, bevor ich die Privattreppe zu der Wohnung im
ersten Stock hinaufstieg. Als Adah mich hereinließ, wälzte sich ihr großer
weißer Kater unter dem Couchtisch hervor und schlug mir die Zähne in den
Knöchel.
»Charley, was soll das? Hör auf damit!«
Ich schüttelte ihn ab und funkelte Adah wütend an, die lässig in Shorts und
T-Shirt herumlief. Sie verdrehte die Augen und klatschte in die Hände. »Tut mir
leid, er ist sauer auf alles und jeden.«
»Wieso?«
»Der Tierarzt hat ihn das zweite Jahr
in Folge als ›fettleibig‹ eingestuft. Jetzt haben wir ihn auf halbe Ration
gesetzt.«
»Immer noch besser, als zweimal täglich
eine Nadel in ihn hineinzujagen.«
»Wenn er in dieser Stimmung ist, hätte
ich ganz gern eine Nadel zur Hand.« Adah führte mich in die Küche und schenkte
uns Wein ein. Wir gingen auf die Terrasse, von der man in den Garten blickte,
den die Mieter selbst angelegt hatten.
»Johnny Duarte«, sagte sie, als wir uns
gesetzt hatten. »Was weißt du über ihn?«
Ich berichtete ausführlich von meinem Kontakt
zu ihm und schloss mit Harriet Leonards Flucht aus dem Laden am Ghirardelli
Square.
Eine tiefe Falte erschien zwischen
Adahs Augenbrauen. »Diese Harriet Leonard interessiert mich allmählich. San Mateo
County hatte ihren Namen aus den Nachrichten aufgeschnappt, wo sie als Duartes
Freundin bezeichnet wurde. Ich sollte sie befragen. Sie lebt in einer Wohnung,
die er ihr vermietet hat, nicht weit von seiner eigenen. Ich war nach dem
Mittagessen dort, und obwohl sie es bestritt, schien sie gerade für eine Reise
zu packen.«
»Hast du etwas herausgefunden?«
»Nicht viel. Sie erzählte, er habe sie
angerufen und gebeten, dir die Nachricht wegen des abgesagten Treffens zu
geben. Kein Wort davon, dass er verängstigt geklungen hätte. Freitagabend war
sie noch mal in der Wohnung, um zu sehen, ob Duarte zurückgekommen war. Ein
Reporter tauchte auf, und sie gab ihm ein Interview. Ich erkundigte mich nach
ihrer Beziehung zu Duarte; sie erwiderte, sie seien gute Freunde. Schien
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