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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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Capellis Wohnungstür.
    »Ist für dich, Otto«, sagte eine völlig zerzauste und offensichtlich noch ziemlich verschlafene Gerichtsmedizinerin. »Besuch direkt aus den unendlichen Weiten des Fegefeuers.«
    Morell gähnte und schielte auf seinen Wecker. Es war noch nicht einmal halb acht. »Da hat wohl die senile Bettflucht zugeschlagen.«
    »Was auch immer. Jedenfalls steht die Leibhaftige von nebenan fit wie ein Turnschuh vor der Tür und verlangt nach dir.«
    Der Chefinspektor rieb sich Sandmännchenstaub aus den Augen und setzte sich aufrecht hin. »Herrjeh. Was will sie denn?«, stöhnte er.
    »Deine Seele?«
    Morell schenkte Capelli ein müdes Lächeln.
    »Keine Ahnung. Sie wollte mir nicht verraten, worum es geht. Sie hat nur gemeint, dass sie dich sprechen will, und zwar dringend.«
    Während Capelli sich unter die Dusche flüchtete, schlurfte Morell in seinem blau karierten Flanell-Pyjama in den Flur, wo er auf eine quicklebendige Frau Horsky traf, die ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte.
    »Nur der frühe Vogel fängt den Wurm beziehungsweise in Ihrem Fall den Mörder, Herr Chefinspektor«, konstatierte sie.
    Morell ignorierte ihre spitze Aussage. »Es ist nicht mal halb acht, Frau Horsky. Wir wollten uns doch erst um zehn Uhr treffen.«
    »Halb acht, zehn, was macht das für einen Unterschied?«, winkte die alte Dame ab und wedelte mit ihrem Gehstock. »Ziehen Sie sich etwas G’scheites an. Wir machen jetzt einen kleinen Morgenspaziergang.«
    Morell war völlig überrumpelt und wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Kommen Sie! Worauf warten Sie?«
    »Und wohin soll der Spaziergang führen?«
    »Das werden Sie schon sehen! Auf! Auf!« Sie klatschte in ihre kleinen, runzligen Hände.
    »So war das aber nicht ausgemacht. Ich komme gerne um zehn auf einen Kaffee zu Ihnen, aber jetzt habe ich wirklich keine Lust, spazieren zu gehen.«
    Frau Horsky kniff Augen und Mund zusammen, so dass sich die geschätzten dreitausend Falten in ihrem Gesicht verdoppelten. »Es ist aber ausgesprochen wichtig, dass wir jetzt an die frische Luft gehen. Vertrauen Sie mir!«
    »Sagen Sie mir erst, was Sie im Schilde führen.«
    »Sie vertrauen mir also nicht?! Sie halten mich also für eine unglaubwürdige alte Schachtel?!«
    Verflucht, dachte Morell. Frauen waren doch alle gleich. Ganz egal, ob es sich um 16-jährige Punk-Mädchen, 25-jährige Studentinnen, 40-jährige Hausfrauen oder 150-jährige Hofratswitwen handelte – sie hatten allesamt die Gabe, einem jedes Wort im Mund umzudrehen. »Nein, ich vertraue Ihnen schon. Es ist nur so, dass …«
    »Wenn Sie jetzt mitkommen, dann bekommen Sie auch mein Apfelstrudelrezept«, spielte Frau Horsky ihren großen Trumpf aus.
    Morell liebte den Strudel der alten Frau. Sie hatte ihm früher manchmal ein Stück ins Kriminalamt mitgebracht, sich aber stets standhaft geweigert, ihm das Rezept zu verraten. »Altes Familiengeheimnis«, hatte sie immer gesagt und dabei verschwörerisch gezwinkert. Der Chefinspektor, der selbst ein begnadeter Bäcker war, hatte zigmal versucht, ihren Apfelstrudel nachzumachen – es war ihm nie gelungen. Dabei hatte er wirklich alles probiert: Er hatte alle möglichen Apfel-, Mehl- und Zuckersorten miteinander kombiniert und sogar die Rosinen in verschiedene Rumarten eingelegt – aber irgendetwas hatte immer anders geschmeckt als bei Frau Horsky.
    »Geben Sie mir fünf Minuten«, sagte Morell und verschwand im Gästezimmer.
     
    Capelli blieb alleine in der Wohnung zurück und schmunzelte. Sie hatte die letzten Sätze der Unterhaltung zwischen ihrer Nachbarin und dem Chefinspektor mitbekommen. Morell war und blieb ein kulinarischer Fanatiker. Für ein gutes Rezept würde er doch tatsächlich einen Pakt mit dem Teufel eingehen und seine Seele verkaufen.
»Die Hölle selbst hat ihre Rechte? Das find ich gut, da ließe sich ein Pakt, und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?«,
zitierte sie aus Goethes Faust. Nun ja, Morell war alt genug und musste selber wissen, was er tat.
»Wie magst du deine Rednerei, nur gleich so hitzig übertreiben? Ist doch ein jedes Blättchen gut. Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.«
    Capellis Erheiterung über ihren feinschmeckerischen Gast war nur von kurzer Dauer. Sie erhielt nämlich einen Anruf vom Landeskriminalamt – Weber wollte sich mit ihr treffen, um über die Obduktionsergebnisse zu sprechen. »Verdammt«, fluchte sie und griff sich an den Kopf. Die Tatsache, dass sie sich

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