Zu Grabe
fielen, lag in den Tiroler Alpen einer hellwach im Bett: Bender. In Landau herrschte nämlich Katzenjammer, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Baldrian hatte gewirkt und sämtliche Katzen aus der Nachbarschaft angelockt. Nur leider schien er, anders als bei Menschen, keinen beruhigenden Effekt auf sie zu haben – ganz im Gegenteil, er versetzte die Tiere regelrecht in Ekstase.
Bender tat die ganze Nacht kein Auge zu, weil die wild gewordenen Stubentiger lautstark eine Orgie in seinem Garten feierten. Es mussten sich wirklich alle Katzen und Kater aus Landau hier versammelt haben. Alle – außer Fred.
»Vielleicht könnt Ihr noch, eh Ihr zu Grabe geht,
eine Wallfahrt nach seinem Monumente thun.«
Friedrich Schiller, Die Räuber
Morell, der um acht Uhr immer noch tief und fest vor sich hin schlummerte, wurde durch das Läuten seines Handys geweckt. »Hallo?«, murmelte er verschlafen.
»Otto? Hier ist Leander. Anscheinend hast du hier drinnen einen neuen Freund. Ich habe gestern deine Nachricht erhalten, und gleich heute Morgen wurde mir erlaubt, dich anzurufen.«
Morell rieb sich den Schlaf aus den Augen und lächelte bei dem Gedanken an den freundlichen Justizvollzugsbeamten. »Und?«, fragte er mit belegter Stimme. »Kannst du mit den komischen Begriffen und Zahlen auf der Liste irgendetwas anfangen? Ist es vielleicht ein Code?«
»Nein, wenn ich mich nicht allzu sehr täusche, handelt es sich bei den Begriffen um Reliquien.«
»Reliquien?« Morell setzte sich im Bett auf und fuhr sich durch die Haare.
»Ja. Os coxae, MCCXVIII , f., 40–45 ist das Hüftbein einer Frau im Alter zwischen 40 und 45 Jahren, aus dem Jahr 1218. Das würde zum Beispiel zu der heiligen Franca von Piacenza passen. Oder Os metacarpale secundum, DLIX , m., 60–65 ist ein Mittelhandknochen aus dem Jahr 559, von einem Mann um die 60 – was, wenn meine Recherchen in der Anstaltsbibliothek richtig sind, ein Stück vom heiligen Leonhard von Noblat sein könnte.«
»Das musst du mir genauer erklären.«
»Reliquie ist Latein und bedeutet übersetzt so viel wie ›Überbleibsel‹, genauer gesagt das Überbleibsel eines oder einer Heiligen. Meistens sind das Knochen, Zähne oder Haare.«
»Und was macht man damit?«
»Mensch, Otto, ich dachte, du seiest katholisch?«
»Bin ich ja auch. Trotzdem weiß ich nichts über die Reste von Heiligen.«
»Reliquien werden wundertätige Eigenschaften zugesprochen – daher sind viele Menschen erpicht darauf, eine zu besitzen. Zudem besagt das Kirchenrecht der katholischen Kirche, dass in jedem geweihten Altar eine Reliquie zu sein hat. Das, ich zitiere, soll verdeutlichen, dass die Opfer der Heiligen im Opfer Christi, das auf dem Altar gefeiert wird, ihren Ursprung haben. Außerdem führt es die Tradition fort, Kirchen auf den Gräbern von Heiligen zu errichten. Spätestens seit dem 4. Jahrhundert gibt es so gut wie keinen Altar mehr ohne Reliquie.«
»Soll das heißen, dass in jedem Altar ein Stück von einem Heiligen liegt?«
»Ganz genau – zumindest in jedem katholischen Altar. Die Protestanten sind dagegen.«
»Das hab’ ich nicht gewusst.«
»Glaub mir, ich hab’s auch erst in meiner Studienzeit durch ein Referat über den frühchristlichen Reliquienkult erfahren. Ziemlich schräg, findest du nicht? Jedes Mal, wenn ich zu einer Hochzeit oder Beerdigung gehe, muss ich mir vorstellen, dass im Altar ein paar Leichenteile liegen.«
»Brrr.« Morell schüttelte sich.
»Wenn dieser Uhl mit Hilfe von Novak Reliquien gefälscht hat, dann würde das schon einen Sinn ergeben.«
»Inwiefern?«
»Nun, erstens würde es einmal erklären, woher Novak so viel Geld hatte. Reliquien sind sehr wertvoll, und es gibt sicherlich eine beachtliche Anzahl an Kirchen und Privatpersonen, die etliche tausend Euro dafür bezahlen würden. Im Mittelalter hielt man Reliquien sogar für kostbarer als Gold und Edelsteine.«
»Und zweitens?«
»Wer kann besser eine Reliquie fälschen als ein Archäologe? Als Archäologe hat man nämlich problemlosen Zugriff auf die richtigen Grundmaterialien aus den jeweils passenden Epochen. Damit wird es schwer bis unmöglich, eine Fälschung zu beweisen.«
»Du meinst, wenn jemand die Reliquie eines Heiligen nachmachen würde, der im 18. Jahrhundert gelebt hat, und er verwendet dafür Knochenmaterial eines Toten aus ebendieser Zeit, könnte man nicht feststellen, ob die Reliquie echt oder falsch ist?«
»Exakt. Man muss natürlich die
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