Zu Hause in Almanya
voranzugehen, ließ Atatürk seine Adoptivtöchter und die Frauen in seinem Umfeld zu Soldatinnen, Pilotinnen oder Lehrerinnen ausbilden. Zudem förderte er Frauen als Sängerinnen und Künstlerinnen, setzte sie als Wissenschaftlerinnen und Politikerinnen ein und bezog sie in sämtliche gesellschaftliche Bereiche mit ein. Er sagte, nur durch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen könne ein Staat erfolgreich sein. Allein das brachte viele gegen ihn auf, die das nicht akzeptieren wollten.
Doch auch andere seiner Neuerungen trafen auf Widerstand, vor allem unter denjenigen, die den Sultan und seine islamisch-orientalische Gesinnung geschätzt hatten und es zum Beispiel nicht akzeptieren wollten, dass die Religion zur Privatsache erklärt wurde oder dass Atatürk seine Ideen sehr unnachgiebig durchsetzte. Wie in jedem Land geraten auch in der Türkei die verschiedenen politischen Lager aneinander, allerdings sind diese Auseinandersetzungen in der Türkei noch immer auch durch die Geschichte geprägt. Doch ein Wandel zeichnet sich ab. Deshalb setzt sich heute zum Beispiel eine Partei wie die Regierungspartei AKP, die eigentlich islamisch-orientalisch ausgerichtet ist, für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ein, obwohl sie gleichzeitig auch versucht, den Einfluss der Religion in der Politik zu stärken oder altmodische Vorstellungen über die Rolle der Frauen vertritt. Wie in jedem demokratischen Land wetteifern die verschiedenen politischen Richtungen darum, wer im Staat das Sagen haben soll.
Aber über eines sind sich die meisten Türken einig: dass die Türkei das wohl größte Erfolgsmodell in der islamischen Welt ist, ein »Selfmade-Staat«, der aus eigener Kraft nach dem Absturz von einer Weltmacht zu einem der schwächsten Länder der Welt die Kehrtwende geschafft hat und zum wichtigsten Brückenstaat zwischen Asien und Europa wurde. Und die meisten Türken wissen auch, dass bei der großen Krise, die heute im Nahen Osten herrscht, der Türkei eine wichtige Bedeutung für die internationale Politik und für den Dialog von Orient und Okzident zukommt. Diese Rolle kann sie nur erfüllen, wenn sie ein stabiler, unabhängiger Staat ist. Deshalb mahnen manche Leute noch immer, dass der Geist von Sèvres nicht auferstehen dürfe.
Die meisten Türken wissen heute aber auch, dass sie die Unabhängigkeit und den Erfolg ihres Landes in erster Linie einem Mann zu verdanken haben, der viel mehr ist als ein Politiker, nämlich ein Vorbild und ein Symbol. Deshalb hängen sie seine Bilder noch immer an die Wände und erinnern sich an ihn. Mustafa Kemal Atatürk starb am 10. November 1938.
Hysterie und Fantasie – Europa und die Türken
Spitze Zähne, bleich im Gesicht und durstig nach Blut: Dracula, der Schrecken der einsamen Nächte, der größte aller Vampire, hatte kein Mitleid mit den Menschen. Insbesondere nicht mit Türken, denn die hasste er.
Graf Dracula, der durch den Roman von Bram Stoker aus dem Jahr 1897 bekannt wurde und seitdem zumindest literarisch unsterblich geworden ist, war in Wirklichkeit ein Fürst mit Namen Vlad Draculea und lebte in der Walachei im heutigen Rumänien, welche fast 400 Jahre lang zum Osmanischen Reich gehörte. Der Fürst bekämpfte die osmanischen Türken mit allen Mitteln, und dazu gehörte auch, dass er sie bei lebendigem Leibe auf Pfählen aufspießen ließ, wo sie einen langsamen und qualvollen Tod starben. Glaubt man den rumänischen Legenden, so ging Fürst Draculea, den man auch Þepeş , den Pfähler, nannte, auch mit anderen unliebsamen Gegnern so um. Dabei war er nach damaligen Maßstäben nicht einmal ungewöhnlich grausam. Unmenschliche Folterstrafen und bestialische Todesarten waren im Mittelalter noch weit verbreitet und geradezu gesellschaftlich akzeptiert.
Wirklich barbarische Grausamkeit wurde dagegen den Osmanen nachgesagt, die in der Regel gesamt als »Türken« bezeichnet wurden, obwohl verschiedene Völker auf dem Balkan, in Nordafrika, Arabien oder Anatolien zu ihnen gehörten. In seiner Angst vor den Türken und seinem Hass auf sie war Draculea vielen anderen Europäern ähnlich.
Während die Truppen des Osmanischen Reichs auf Eroberungsfeldzüge gingen und immer neue Länder unter ihre Herrschaft brachten, trugen sie den Krieg weiter nach Europa hinein, wo sich der Schrecken vor ihnen wie ein Lauffeuer ausbreitete. Das fand 1529 einen Höhepunkt, als sie zum ersten Mal Wien belagerten, doch an der Eroberung scheiterten. Unterstützt
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