Zu Hause in Almanya
Länder wurden in der Vergangenheit von europäischen Staaten kolonisiert, was ihre Grenzen, Gesetze und Kulturen deutlich beeinflusst hat. Das sehen wir zum Beispiel daran, dass in manchen dieser Länder heute die Amtssprache Französisch oder Englisch ist, obwohl das Volk zum Beispiel aus Arabern besteht und Arabisch spricht, oder dass ihre Landesgrenzen kerzengerade verlaufen, weil sie auf einem Schreibtisch mit dem Lineal gezogen wurden – von ausländischen Politikern, je nach Machtinteresse.
Diese Länder konnten ihr Schicksal nicht selbst bestimmen und sind zum Teil noch heute abhängig von ihren ehemaligen Kolonialherren, zumindest in Form enger politischer und wirtschaftlicher Beziehungen. Ein ähnliches Schicksal sollte auch die Türkei erwarten.
Über 600 Jahre lang bestand das Osmanische Reich und 36
Herrscher, die Sultan genannt wurden, regierten es. In dieser Zeit hatten sie viele Länder erobert, die in der Folge zum Osmanischen Reich gehörten, mit Anatolien, dem Hauptgebiet der heutigen Türkei, als Kernland. Doch spätestens unter dem letzten Herrscher, Sultan Vahdeddin, war das Reich schon stark geschwächt. Der Erste Weltkrieg war gerade zu Ende gegangen, in dem das Osmanische Reich mit Deutschland verbündet gewesen war, und nun gehörte es zu den Verlierern. Nebenbei bemerkt ist diese Verbindung mit Deutschland heute vielen Türken noch im Gedächtnis, während in Deutschland kaum noch jemand davon weiß.
Die Siegermächte und ihre Verbündeten, zu denen damals unter anderem Frankreich, Großbritannien, Griechenland und Italien gehörten, diktierten dem osmanischen Staat harte Bedingungen. Dazu gehörte auch, dass sie die Türkei faktisch unter sich aufteilen wollten, was später 1920 im Vertrag von Sèvres festgeschrieben wurde. Jede Siegermacht sollte ihren Teil der Türkei bekommen. Die ausländischen Soldaten hatten schon begonnen, ins Land einzumarschieren, und ihre Länder sahen nun die Gelegenheit, die Türken ein für alle Mal aus Europa zu verdrängen, wie es der damalige englische Premierminister sagte.
Der Sultan war der Meinung, dass er die Teilung nicht würde verhindern können und akzeptierte den Vertrag, doch in der Bevölkerung herrschte schon längst Unmut, und Widerstand machte sich im ganzen Land breit. Der Sultan musste die Aufstände niederschlagen und schickte seinen Offizier Mustafa Kemal Pascha – so lautete sein Titel – nach Samsun an die Schwarzmeerküste, wo dieser am 19. Mai 1919 ankam. Doch statt den Befehl des Sultans auszuführen, schloss er sich den Aufständischen an, übernahm deren Führung und organisierte den Widerstand. Franzosen, Engländer und Griechen hatten bereits Stützpunkte im Land und patrouillierten in den Städten. Mustafa Kemal ließ die Bevölkerung über die Besatzung aufklären und gegen die Besatzer mobilisieren. So wurden in vielen Städten Kongresse abgehalten, die den Widerstand bündeln sollten. Er selbst quittierte den Offiziersdienst und hatte nur noch ein einziges Ziel: die Teilung des Landes zu verhindern und einen souveränen Staat zu schaffen. Die Ereignisse überschlugen sich, Großbritannien besetzte Istanbul, der Sultan löste das Parlament auf, griechische Soldaten drangen nach Anatolien vor. Im Norden, im Süden, im Westen – von überall her kamen ausländische Soldaten ins Land. Mustafa Kemal, der überall Kongresse organisiert und eine Nationalversammlung einberufen hatte, wurde zu deren Präsidenten gewählt. Als bekannt wurde, dass der Sultan den Vertrag von Sèvres unterzeichnet hatte, kochte die Stimmung im Lande hoch. Die Armee, die von der Nationalversammlung gebildet wurde, und auch alle anderen Widerständler vereinigten sich. So kämpften nicht nur Soldaten gegen die Besatzer, sondern auch das einfache Volk, selbst Bauern und Bäuerinnen, und sie trugen am Ende den Sieg davon. Die fremden Soldaten mussten abziehen und verließen das Land, so wie auch der Sultan. Im Vertrag von Lausanne wurden 1923 neue Bedingungen ausgehandelt und die Grenzen der Türkei, wie wir sie heute kennen, festgeschrieben. Im selben Jahr wurde auch die türkische Republik ausgerufen, und Mustafa Kemal Atatürk wurde ihr erster Staatspräsident.
So könnte man die Geschichte zusammenfassen, wie der türkische Held Mustafa Kemal sein Land in die Freiheit führte. Die Bevölkerung der Türkei ist noch heute stolz darauf, dass sie es aus eigener Kraft geschafft hat, ein unabhängiger, moderner Staat zu werden, und sie feiert jedes
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