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Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aysegül Acevit
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Jahr am 19. Mai den Beginn dieser Geschichte. Sie bedeutete letztlich das Ende des Osmanischen Reiches und den Beginn einer neuen Ära. Der Sultan flüchtete auf einem britischen Kriegsschiff nach San Remo, wo er wenige Jahre später starb. Auch die Angehörigen seiner Dynastie wurden aus dem Land ausgewiesen.
    Aber mit der Ausrufung der Republik begannen erst die Herausforderungen für die junge Republik. Weil das vorherige System das Land an den Rand des Ruins geführt hatte, wollten Atatürk und seine Mitstreiter nun die Gesellschaft und den Staat völlig neu und zeitgemäß organisieren. Dies ist ihnen nicht nur gelungen, man kann sogar sagen, sie haben das Land revolutioniert. Die neue, junge Türkei machte innerhalb weniger Jahre so große Umwälzungen durch, wie andere, besonders muslimische Staaten, sie bis heute nicht erlebt haben. Was damals geschah, war eine türkische Kulturrevolution und eine Revolution in der islamischen Welt.
    War das Osmanische Reich ein Vielvölkerstaat gewesen, in dem das Volk dem Sultan untertan war, der eine elitäre Sprache und Kultur pflegte, so stand die neue türkische Republik als demokratischer Nationalstaat da, mit einem Parlament, einer Verfassung, einer türkischen Amtssprache und einer Trennung von Religion und Staat.
    Mustafa Kemal Atatürk hatte verschiedene Prinzipien erarbeitet, die er im neuen Staat umsetzen wollte, wie zum Beispiel den Laizismus. Jahrhundertelang war der Sultan des Osmanischen Reiches zugleich auch Kalif, also das religiöse Oberhaupt der Muslime weltweit, gewesen, und die religiösen Regeln aus der Zeit des Propheten bestimmten und beeinflussten die Gesetze des Staates. Doch durch den Laizismus wurden religiöse Ämter und Staatsangelegenheiten voneinander getrennt. Um die religiösen Angelegenheiten kümmerte sich von nun an eine Behörde, und die Gesetze machte das Parlament.
    Auch außenpolitisch wandelte Atatürk den Staat, denn für die junge Demokratie waren die benachbarten arabischen Staaten nicht länger richtungweisend. Stattdessen wandte er sich Europa zu, wo der Fortschritt auf vielen Gebieten blühte.
    So wurden viele Bereiche der Gesellschaft völlig neu strukturiert und im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Nichts aufgebaut. Denn der junge Staat hatte kaum Geld, kaum Industrie, kaum eine Infrastruktur, kaum Banken oder Behörden, Schulen oder Universitäten. Die Bevölkerung war arm, viele Männer waren im Krieg gefallen, die Frauen ungebildet geblieben. So wurden die alten religiös-orientierten Gesetze abgeschafft und ein neues Rechtssystem eingeführt, wofür aus einigen europäischen Ländern Gesetze entliehen und auf die Türkei angepasst wurden. Das Staatswesen wurde reformiert, die Hauptstadt von Istanbul in die Mitte des Landes nach Ankara verlegt, die Einführung des Mehrparteiensystems vorbereitet. Aber damit war es nicht genug.
    Auch das alte osmanische Schriftsystem wurde abgeschafft, das zu diesem Zeitpunkt ohnehin nur eine kleine Elite im Land beherrschte, und stattdessen das lateinische für die türkische Sprache übernommen, die jetzt jedes Kind in der Schule lesen und schreiben lernen sollte. Heute schlummern in den Archiven der Sultanspaläste noch unzählige verstaubte Bücher, die in osmanischen Schriftzeichen verfasst wurden und die nur noch von Experten entziffert und verstanden werden können. Damit ist natürlich auch ein historischer Schatz untergegangen, der nur langsam wieder geborgen wird.
    Ebenso wurde die bisherige Amtssprache Osmanisch, eine Ausprägung des Türkischen, die jedoch zum großen Teil aus arabischen und persischen Wörtern bestand, von Fremdwörtern bereinigt und mehr und mehr durch die türkische Sprache ersetzt, die eine neu eingerichtete Sprachgesellschaft wiederbeleben sollte. Im ganzen Land, in Städten und Dörfern, mussten Schulen und Universitäten errichtet werden, aber da der junge Staat arm war, dauerte die Umsetzung dieses Vorhabens noch viele Jahre. Zu den Neuerungen, die Mustafa Kemal Atatürk einführte, gehört außerdem die Kleidungsreform, wonach Turbane für Männer und Schleier für Frauen abgeschafft wurden, und auch die berühmte rote Filzmütze, der Fes, der über Jahrhunderte die traditionelle türkische Kopfbedeckung gewesen war, wurde verboten.
    Weiter wurden Frauen den Männern politisch gleichgestellt und erhielten 1930 das Wahlrecht, also viele Jahre vor manch anderen europäischen Staaten wie etwa Frankreich, Italien oder die Schweiz. Um als gutes Beispiel

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