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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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versucht hatte, Feuer zu legen.
    Mutter war mit einigen anderen Frauen die ganze Zeit in der Küche beschäftigt, um Tee und Kaffee zu kochen und Brote zu belegen. Hanna war mit einigen älteren Mädchen kurz auf dem Dach gewesen und hatte von dort aus einiges sehen können. »Auch aus der Synagoge Friedberger Anlage kommt Qualm!«, berichtete
sie mit gerötetem Gesicht. Wir anderen wollten auch aufs Dach, aber Onkel Isidor wies uns an, alle Türen und Fenster geschlossen zu halten. Wie durch ein Wunder war unser Heim vorerst nicht belästigt worden. Leider dauerte das Wunder nicht lange.

    Die brennende Synagoge am Frankfurter Börneplatz am 10. November 1938. Während dieses Pogroms (wegen der vielen zerschlagenen Fensterscheibenauch verharmlosend »Kristallnacht« genannt) sind die meisten Synagogen in Deutschland in Brand gesteckt worden. Außerdem wurden tausende jüdische Geschäfte verwüstet, rund hundert Juden ermordet und etwa 30 000 jüdische Männer verhaftet.
    Niemand traute sich an diesem Morgen zur Schule. Es hieß auch, dass jüdische Kinder ab sofort keine öffentlichen Schulen mehr besuchen dürften. Einige Erwachsene
schimpften über den jungen Attentäter aus Paris, er habe den Hass der deutschen Nazis nun erst recht angeheizt. Dabei hatte er das doch nur aus Sorge um seine Familie getan und die Nazis hatten seine Tat zum Vorwand für ihre Überfälle genommen. Ich fand es gut, dass er überhaupt etwas unternommen hatte. Das Einzige, was wir nun machten, war, dass jede einen kleinen Koffer oder eine Tasche mit dem Nötigsten packte. Für den Fall, dass auch bei uns im Haus etwas geschehen sollte und wir schnell flüchten müssten.
    Als das erledigt war, standen wir eine Weile hinter den Fenstern und schauten hinaus. Plötzlich hörten wir aufgeregte Rufe vom Ende der Straße. Sofort drängten sich alle ans Fenster, um zu sehen, was los war.
    Â»Oh je, der kleine Gottschalk!«, rief Hanna, die ihn zuerst erkannt hatte.
    Joachim Gottschalk war ein geistig behinderter Junge, der eine Hilfsschule besuchte, wie man die Sonderschulen früher nannte, und schon länger bei uns im Heim untergebracht war. In der allgemeinen Aufregung musste er am Morgen von allen unbemerkt zu seiner Schule aufgebrochen sein. Nun rannte er anscheinend um sein Leben. Eine Horde Jugendlicher war ihm dicht auf den Fersen.
    Â»Judenschwein!«, schrien sie. »Judenschwein!«
    Entgegen der Anordnung riss ich das Fenster auf und wir alle feuerten ihn an durchzuhalten: »Gottschalk, lauf! Du schaffst es!«
    In wirklich allerletzter Sekunde erreichte er unser Tor - einer von unseren Jungen machte es für ihn auf und zu mehreren verbarrikadierten sie es vor der ihn
verfolgenden Meute von Hitlerjungen, die wütend gegen die Holzlatten traten. Joachim schaute sich stolz um. Jeder gratulierte ihm und er lächelte angesichts der ungewohnten Aufmerksamkeit.
    Nur wenige Minuten später wurde erneut gegen das Tor geschlagen. Zu den Hitlerjungen hatten sich jetzt auch mehrere Nazis in SA-Uniform gesellt. Anscheinend erkannten sie erst allmählich, dass sie unser Heim bisher glatt übersehen hatten. Mit einem Brecheisen gelang es ihnen schließlich, unser stabiles Tor aufzubrechen und mit etwa dreißig Mann in den Hof zu stürmen.
    Die folgenden zwei Stunden herrschte nur Chaos und Entsetzen im ganzen Haus. Einige von uns versuchten, sich unter den Betten zu verstecken. Andere stellten sich auf Stühle oder kletterten auf Schränke. Wir hatten vor allem Angst, dass sie auch hier Feuer legen würden. Bei allem, was wir gehört hatten, war deutlich geworden, dass die Feuerwehr bei jüdischen Häusern nicht löschte, sondern nur darauf achtete, dass das Feuer nicht auf christliche Nachbarhäuser übergriff. In einem geeigneten Moment rannten wir hinauf in den ersten Stock, wo die Jungen untergebracht waren. Hier traf ich Mutter, die mit einigen der älteren Jungen im Speisesaal stand. Als sie mich sah, zog sie mich zu einem der hinteren Tische, deren frisch gebügelte, weiße Decken bis zum Boden reichten, ohne dass schon Geschirr aufgedeckt war. Wo Tante Rosa und Tante Ella waren, konnte ich nicht ausmachen. Auch Onkel Isidor schien wie vom Erdboden verschwunden.
    Auf einmal stand er im Türrahmen, schwer atmend und in größter Sorge. »Das ist unglaublich«, sagte er
leise und dann noch einmal:

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