Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Grafen Borell zugebracht und dort Feuer gefangen für die arabische Wissenschaft, in der er es immerhin so weit gebracht hatte, dass er arabische Texte mit Mühe lesen konnte.
Die erste Frage, die er an Welid richtete, war: »Kannst du lesen und schreiben?«
Da musste der Gefragte lächeln. Er erwiderte: »In Andalus kann das fast jedermann.«
»Also kommst du aus Andalus«, erwiderte der Abt erfreut. »Sieh, mein Freund, der Graf Borell, hat mir diese Bücher geschickt. Kannst du mir helfen, sie zu verstehen?«
Das eine Buch war das Werk Jussufs des Weisen und behandelte die Multiplikation und Division der Zahlen. Das zweite war ein Buch über Sternenkunde.
»Unsere zehn Ziffern kenne ich. Auch rechnen kann ich mit ihnen, denn das ist ja nicht so schwierig wie mit der umständlichen Rechenart, die hierzulande üblich ist. Doch mit mathematischen Wissenschaften habe ich mich nie befasst.«
»So bist du kein Gelehrter?«
»Nein, Herr.«
»Was also?«
»Ich war Sänger.«
Da glänzten die Augen des Abtes. »Du kannst singen?«
»Nicht mehr.«
»Aber Laute spielen?«
»Vielleicht. Wenn ich es nicht vergessen habe.«
»Das vergisst man so wenig, wie ein Schwimmer die Schwimmbewegungen vergisst, wenn er ins Wasser fällt.«
Der Abt ging in ein Nebenzimmer und kam mit einer Laute zurück, die er Welid in die Hand drückte. Sie hatte fünf Saiten und war in derselben Art gestimmt wie Jachjas Laute.
Die beiden Männer saßen zusammen bis nach Mitternacht. Über Ziffern, über Zahlen, über dem Lautenspiel. Musik und Mathematik und der Zusammenhang zwischen beidem: Das war es, was den Abt bewegte.
»Man weiß bei uns noch nichts über den Stellenwert der Ziffern und über die Bedeutung, die die Null besitzt. Erst wenn das bekannt wird, werden sich meine Landsleute mit den deinen messen können.«
Der Abt einigte sich mit dem Ritter und behielt Welid bei sich. Das war dessen Glück und dessen Unglück. Sein Glück: Endlich konnte er sich wieder mit jemandem verständigen, der sich nicht nur in seiner Sprache auszudrücken, sondern auch seinen Gedanken zu folgen vermochte. Und sein Unglück: Der Abt wurde bald danach aus seiner Abtei verdrängt (er war ein Franke, der in Italien mehr Neider und Feinde als Gönner und Freunde hatte), und er nahm den »Mohren« mit sich in seine nördliche Heimat, nach Reims im Frankenlande.
Hier aber konnte sich Welid unmöglich wohlfühlen. Wie hat doch Allah (gepriesen sei seine Gerechtigkeit!) die Ungläubigen gestraft! In Ländern müssen sie wohnen, wo im Winter der Schnee wochen-, ja monatelang liegen bleibt, wo der Frühling kaum anbrechen mag, der Sommer kurz ist und selbst während dieser kurzen Dauer mehr Wolken den Himmel bedecken als in Andalus während eines ganzen Jahres, und der Herbst mit seinen Nebelschwaden, mit seinem dünnen, kalten, nicht enden wollenden Regen sich den Menschen aufs Herz legt wie ein nasser Dämon.
Vier lange Jahre musste Welid in diesem Lande atmen. Die Kälte zog ihm bis ins Mark. Kein Wunder, dass die Menschen weniger Liebe, weniger Freundschaft füreinander empfanden, dass man den Tarab nicht kannte und die Männer, jeder Eifersucht bar, ihre Frauen den Blicken aller Welt preisgaben.
Die Sprache, die hier gesprochen wurde, konnte Welid zwar erlernen, aber an die Art dieser Ungläubigen, an den Himmel und die Erde ihres Landes sich zu gewöhnen, vermochte er nicht. Wahrscheinlich hätte er sich gar nicht die Mühe genommen, möglichst fehlerfrei mit ihnen zu sprechen, wenn ihn nicht die Aussicht gelockt hätte, dieses von Allah so stiefväterlich bedachte Land zu verlassen und sich nach Süden durchzuschlagen.
Sollte er seinen Herrn bitten, ihn freizulassen? Galt bei den Christen die Freilassung eines Sklaven als eine Gott wohlgefällige Tat? Oder vielleicht gar die eines Moslems als eine ihrem Gott verhasste? Er kannte sich nicht bei ihnen aus und wagte die Bitte nicht. Würde sie nicht Verdacht erregen und ihm die Flucht erschweren?
Flucht! Wie ich es hasse, dieses Wort! Seit zehn verlorenen Jahren kein Ort, der mich behält, kein Land, das mich nicht ausstößt. Mein Haar ist grau geworden unterdessen.
Hani, wie alt bist du nun? Schon vierzehn Jahre? Wir werden uns nicht mehr erkennen, wenn wir uns wiedersehn. Und du, Romeileh - wie hat der Kummer dein Gesicht gezeichnet? Werden wir uns noch erkennen? Oder hast du mich längst preisgegeben, hast Zuflucht gesucht bei einem ändern? Ich werde dich nicht verklagen, wenn es so ist
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