Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Schöpfungsordnung einfügt: Eine Saite, die bei gleicher Stärke doppelt so lang ist wie eine andere, muss einen Ton ergeben, der, obgleich tiefer, mit dem der ändern in eins zusammenklingt, während sich die Töne aller ändern Saiten zu diesen beiden wie Freunde oder wie Feinde verhalten. Und wieder war es Muhammad, der als erster begriff, dass den Tönen Höhe und Tiefe vorgeschrieben sind wie den Sternen ihre Bahnen und dass Musik nicht nur zu hören und zu empfinden, sondern auch in ihrer geistigen Bedeutung zu erfassen ist.
Doch wenn es galt, die Lautengriffe zu erlernen, wenn es galt, Lieder vorzutragen, dann, tat Welid sich hervor. Er hatte die Sangesfreudigkeit von seiner Mutter geerbt, und seine Stimme klang schon voll und männlich, während Muhammad, dessen Stimmbruch sich erst vor nicht allzu langer Zeit vollzogen hatte, die Töne nur zaghaft von sich gab.
Abu Hafs erschrak, als er erfuhr, dass Jachja sich vom ersten Geldgeschenk, das er ihm gemacht hatte, eine Laute kaufen wollte.
»Musik ist eine List des Teufels«, sagte er, »der damit die Menschen von den Gedanken an Allah ablenken will.«
Jachja war um eine Entgegnung nicht verlegen. »Wer sie aber erklingen lässt zum Lobpreis der Allerhöchsten, kann damit den Teufel selbst überlisten.« Er musste versprechen, sein Instrument zu nichts anderem zu gebrauchen als zu diesem Lobpreis, und damit gelang es ihm, Abu Hafs’ Gewissen zu beruhigen. Zu den Knaben aber sagte Jachja: »Ist nicht das Loben der Geschöpfe zugleich auch ein Preisen ihres Schöpfers?« Und sie stimmten ihm eifrig zu. Trotzdem sangen sie nur in Abu Hafs’ Abwesenheit so weltliche Lieder wie »Ihre lange Schleppe zog die Nacht« oder »Mich wundert, dass das Herz so viel ertragen kann« - es war wie eine stillschweigende Übereinkunft.
Endlich hatte Abu Hafs alle Vorkehrungen zu seiner Reise getroffen: Er hatte einen Obstgarten verkauft und, da das Geld nicht ausreichte, eia Darlehen aufgenommen. Zu diesem Zweck war er in Cordoba gewesen, hatte erfahren, an welchem Tage sich die Mekka-Pilger in Algeciras zur Überfahrt versammeln sollten, und hielt nun die Zeit für gekommen, den Hausgenossen seinen Entschluss mitzuteilen.
So waren, als er in Thorosch einritt, seine Bewegungen noch gemessener als sonst und seine Miene noch ernster und würdevoller. Schon die Knechte, die herbeieilten, um ihm vom Pferde zu helfen, spürten, dass etwas Wichtiges bevorstand. Aber er sprach nur einige belanglose Worte mit ihnen und ging in seine Gemächer.
Boreiha war zu seiner Begrüßung nicht in den Hof heruntergekommen. Er liebte es nicht, seiner Frau zu begegnen, ehe er sich vom Staub und Schweiß der Reise gereinigt hatte. So suchte er sie erst kurz vor dem Abendgebet auf.
Dann aß er mit seiner Familie zusammen. Auch Welid war, wie gewöhnlich, zugegen. Die beiden Töchter hängten sich an den Vater und wichen nicht von seiner Seite. Boreiha und Muhammad saßen ihm gegenüber.
Er hatte sich mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Kissen niedergelassen, sein schon etwas schütter gewordenes, leicht ergrautes Haar duftete nach Veilchenöl und Ambra. Und ein sonst an ihm ungewohnter Glanz lag über seinem Gesicht.
Es war sehr still. Keines der Kinder traute sich, in Gegenwart des Vaters ein Wort zu sprechen, wenn es nicht gefragt wurde. Und Abu Hafs schwieg. Aber als er aller Augen erwartungsvoll auf sich gerichtet fühlte, räusperte er sich in der für ihn eigentümlichen Art und sagte, lang und betont jedes Wort aussprechend: »Es ist Allahs Wille, dass ich in diesem Jahr auf die Wallfahrt gehe.«
Die Wirkung, die er erwartet hatte, trat ein: In den Gesichtern der Frauen malte sich ein jähes Erschrecken ab. Selbst Besbasa, die mit dem Essen hereinkam, blieb auf halbem Weg stehn und hatte Mühe, die Schüssel festzuhalten, so zitterte ihre Hand. Und Boreihas Gesicht war wie versteint.
Was aber Abu Hafs nicht erwartet hätte, war, dass Besbasa gegen alle Sitte und allen Respekt, ihm, ehe noch Boreiha ein Wort gefunden hatte, zurief: »Herr, nimm nur ja genug zu essen mit auf den Weg, Mekka ist weiter als Cordoba 1«, und dass Muhammad so lachen musste über die Vorstellung, die sich seine Amme von dem Weg von Thorosch bis Mekka machte, dass er sich verschluckte und ihm vor Lachen und Husten die Tränen in die Augen traten.
Welid erschrak über diese Ungehörigkeit seines Milchbruders. Was würde Abu Hafs dazu sagen?
Aber Boreiha kam ihrem Gatten zuvor. »Schämst du dich
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