Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Eindruck eines Schlafenden zu erwecken, konnte aber nicht verhindern, dass sein zuckendes Kinn eine tiefe Erregung verriet.
Endlich sagte Abu Amir: »Ich bin zu dir gekommen, mein Bruder, um dich um Verzeihung zu bitten.«
Mit einem Ruck schnellte Mondhir empor.
»Du«, fragte er fassungslos, »mich?«
»Als unser Vater Abschied nahm, versprach ich ihm in die Hand, falls er nicht wiederkehren sollte, für die Mutter zu sorgen und für das Kind, das sie noch nicht geboren hatte. Und dann meinte ich, dieses Versprechen halten zu können, indem ich euch die Einnahmen unseres Gutes beließ. Aber das war so gut, als hätte ich mich mit Geld von meinen Pflichten losgekauft. Ich habe dich nicht zu mir genommen, dich nicht angeleitet in allen Dingen, die ein Moslem wissen muss - hätte ich das getan, wäre nicht geschehen, was geschehn ist.«
»Es geschieht nichts, was nicht Allah bestimmt hat. Wenn ich jetzt sterbe, fragt Monkar mich nicht nach meinen Taten und Nakir nicht nach dem Koran, denn die beiden Todesengel haben Befehl, jeden im Kampf Gefallenen sicher über die Brücke, über den Höllenschlund, ins Paradies zu leiten, und kein Häscher darf ihn packen und in den Abgrund reißen.«
O mein Bruder, so könntest du sprechen, wenn du deine Wunde im Kampf gegen die Ungläubigen empfangen hättest. Aber in diesem unseligen Krieg, in dem Moslem gegen Moslem steht ... Dies dachte Abu Amir, hatte aber nicht das Herz, es auszusprechen. Doch Mondhir besaß Verstand genug, selber in Zweifel zu ziehen, was er eben gesagt hatte, denn er fragte gleich darauf: »Verräter und Aufrührer gegen den Stellvertreter des Propheten sind doch ebenso von Allah verstoßen wie Gottesleugner und Götzenanbeter?«
Auf diese Frage antwortete Abu Amir nicht geradezu, sondern begann, Koranverse herzusagen:
»Allah erwählt für seine Barmherzigkeit, wen er will,
denn er ist voll großer Huld.
Er wird euch nicht strafen für ein Unbedachtes,
er wird euch nur strafen für eurer Herzen Absicht.
Und ohne Allahs Huld gegen euch und seine Barmherzigkeit
wäret ihr sicher bis auf wenige dem Teufel gefolgt.
Und wer eine Sünde begeht, sündigt damit gegen sich selbst.
Aber wer nach seiner Missetat Allah um Vergebung bittet,
wird ihn verzeihend und barmherzig finden.«
Er fuhr so eine Weile fort, alle Stellen, die von dem großen Erbarmen zeugen, aus seinem Gedächtnis hervorholend, und er wusste nicht, betete er für den Knaben oder für sich selber. Bald schien ihm, Mondhir sei eingeschlafen. Aber als er innehielt, schlug der Bruder die Augen auf und flüsterte: »Weiter!« Und nach einer Weile: »Wenn ich am Leben bleibe, will ich das alles lernen.«
Wenn du am Leben bleibst, muss ich dich verurteilen, Mondhir, mein Bruder, hämmerte es in Abu Amirs Kopf, während seine Lippen Vers um Vers murmelten. Und plötzlich wusste er, worum er betete: dass Gott dem Knaben gnädig sein möge im Tod, ihm selbst aber im Leben.
Da befiel ihn Scham, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
Abu Amir ließ den Bruder in sein Zelt hinübertragen, und hier kämpfte Mondhir noch drei Tage lang mit dem Fieber, das sich mit Schüttelfrösten über ihn stürzte. Doch ehe der vierte Morgen tagte, hatte es ihn überwältigt und ließ von ihm ab. Kalt wurden seine Hände, der Todesschweiß trat ihm auf die Stirn. Welid ging zum Eingang und schlug den Vorhang zurück. Ein Luftzug bemächtigte sich des Öllämpchens, es flackerte ängstlich. In dem Augenblick fiel eine Sternschnuppe vom Himmel.
»Hast du gesehen?« rief Welid. »Gabriels Lanze dem Schaitan ins Herz!«
Die Worte hatten Abu Amir gegolten, der an seines Bruders Bett saß. Aber Mondhir griff sie auf. »Ja!« sagte er laut und vernehmlich, reckte sich noch einmal und fiel in sein Kissen zurück.
Am Tage von Mondhirs Begräbnis ergab sich Ibn Kennun. Er hatte eingesehen, dass er auf die Dauer mit seinem kleinen Trupp der Belagerung nicht widerstehen konnte. Abu Amir aber hatte günstige Bedingungen schon von Cordoba mitgebracht: Der Kalif sicherte dem Rebellen und den Seinen Schonung von Leib und Leben zu; sie dagegen mussten sich dem heimkehrenden Heer anschließen und nach Andalus übersetzen. Dieses Anerbieten wurde vom fertigen Wandelturm in die Festung katapultiert, und Ibn Kennun erkannte, dass alle Vorkehrungen zur Belagerung so weit gediehen waren, dass es nun nur noch hieß: Übergabe oder Erstürmung. Da hisste er das Zeichen der Übergabe. Mondhir war das letzte Opfer dieses
Weitere Kostenlose Bücher