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Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)

Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Toten könnt ihr mir nicht nehmen! Wer beklagt ihn außer mir? Seine Mutter lebt nicht mehr. Seine Schwestern kennen ihn fast nicht. Seine Schwägerinnen stehen ihm fern. Aber ich, ich! Nicht aufhören will ich, um ihn zu klagen und zu weinen! Meine Wange will ich schlagen, meine Brüste zerkratzen, mit geschwärztem Gesicht herumlaufen, und die Eule will ich rufen, die um sein Grab fliegt, bis seine Seele sich mit ihr vereinigt hat. Hameh, will ich sie locken, komm zu mir, Hameh, ich warte auf dich! Im Jasminbusch, hinterm Besenstrauch! Hab keine Angst vor den Domen, ich schlage die Zweige auseinander. Hameh, komm, flieg übers Meer, Hameh!«
    Welid trat von hinten an die Schwester heran. »Es gibt keine Hameh - keine das Grab umflatternde Eule, das hat unser Prophet (gepriesen sei er!) selber gesagt. Und er hat auch verboten das Klagegeschrei um die Gestorbenen, denn Allah hat jedem Menschen seine Frist gesetzt. Dem einen eine frühere, dem ändern eine spätere, keiner entrinnt seiner Stunde, und wenn er sich in einen ragenden Turm verschlösse.«
    Er strich ihr zart übers Haar, fasste es dabei hinten zusammen, hob das Kopftuch auf und band es ihr um.
    »Du wirst nun bald erwachsen sein«, sagte er, «dann suche ich dir einen Mann, einen braven, frommen, tüchtigen, der dich lieben wird, wie ich meine Frau liebe, dich in Ehren halten, dir keine andere beigesellen - denn diese Bedingung stelle ich ihm.«
    »Ich will keinen Mann!« fuhr Marjam auf. »Keinen Fremden, den ich nicht kenne und der mich nicht kennt!« Sie wandte sich um und sah den Bruder mit flammenden Augen an, ihr Gesicht war entstellt, ihre Wangen bluteten, aber sie hatte keine Tränen mehr.
    Unwillkürlich fiel Welids Blick auf ihre entblößten Brüste, die sich noch sehr klein, sehr mädchenhaft von ihrem schmalen Körper abhoben. Und plötzlich sah er, dass an jeder ein milchigweißer Tropfen hing, nicht größer als ein Reiskorn. Da wurde ihm schwarz vor den Augen, und er ging wortlos hinaus.
    Was war geschehen? Hatte man ihn hinters Licht geführt? Und Allah lüftete den Schleier der Hinterlist (oh, er ist wahrhaftig und verabscheut die Lüge!) und zeigte ihm die Schwester in ihrer ganzen Verworfenheit?
    Verstoßen musste er Romeileh, die ihm ein Kind unterschieben wollte, das ihm nicht gehörte! Dem Kadi ausliefern die Schwester, dass man ihren nackten Rücken mit Ruten strich. Und das Kind zu Abu Amir hinübertragen: Hier hast du den Bankert deines Bruders! Mach mit ihm, was du willst. Und mich lass fort von dir, fort aus dem Hause, fort aus dem Land! Denn du hast es gewusst. Warum denn sonst hättest du Mondhir fort an die nördliche Grenze geschickt?
    Ein Komplott also! Von wem geschmiedet? Von Marjam nicht - sie war noch ein Kind. Eher würde sie eine Tat der Verzweiflung begehen als eine Tat der List. Von Romeileh? Kaum zu glauben. Zu behütet war ihr Leben gewesen, zu gradlinig verlaufen, nie hatte er sie auf einer Unwahrhaftigkeit ertappt, ihr auch nie Veranlassung dazu gegeben.
    Und Abu Amir? Würde er sich mit Weiberränken befasst haben, wenn er nicht hineingezogen worden wäre?
    Welid zermarterte sich das Gehirn, konnte aber zu keiner klaren Einsicht kommen. Er saß in seinem Zimmer, den Kopf in die Hände gestützt, und fühlte in sich eine Leere und Kälte, wie er sie niemals gekannt hatte.
    Das Schreien der Schwester drang immer noch durch die Wände, aber sein Ohr nahm es nicht mehr auf. Er hörte auch nicht die flinken Frauenschritte, die über den Korridor huschten.
    Plötzlich erfasste es ihn wie ein Taumel. Die Stimme war gar nicht so laut. Und doch hatte er sie erkannt: Merwes Stimme. Da tat er, was er in seinem Leben noch niemals getan hatte: Er schlich sich zu den Frauengemächern, stellte sich hinter einen Vorhang und lauschte. Merwe sprach auf Marjam ein. Nicht Anklagen, nicht Trostworte, sondern eine Litanei zärtlicher Namen ergoss sich über die Unglückliche, deren Schmerzensschreie darunter leiser und leiser wurden, bis sie völlig verstummten.
    Eine Weile war es ganz still. Dann sagte Merwe: »Sie ist eingeschlafen.«
    »Die Unselige«, schluchzte Romeileh, »sie wird uns alle verderben. Er wird sie auspeitschen lassen und mich verstoßen, weil wir beide Schande über ihn gebracht haben. Ach, ich will gar nicht von mir reden und nicht von Marjam, wir haben ihn belogen und sind schuldig geworden - aber er! Was wird aus ihm? Er verwindet das nie.« »Schuldig? Wer ist hier schuldig? Das Kind, dem die Mutter starb

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