Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
und das mit einem wahnsinnigen Vater allein blieb, sodass der einzige Mensch, der sich um es kümmerte, ihm zum Verhängnis werden musste?«
»Nein, ich! Ich hätte mich meinem Gatten anvertrauen sollen, hätte ihn in das Geheimnis einweihen sollen, und alles, alles wäre anders gekommen. Aber ich wollte auch vor ihm als Mutter dastehn. Ja, gerade vor ihm! Weil ich die Schande meiner Unfruchtbarkeit nicht mehr ertrug. Weil ich fürchtete, dass er schließlich doch eine zweite Frau ...«
»Du bist durchs Tor der Verzweiflung gegangen, Romeileh. Ich kenne das. Ich habe es oft genug durchschritten. Was denkst du, wie mir zumute war, als Firas mich verlassen hatte. Nicht vor der Wildnis, in der ich ein Versteck gefunden hatte, fürchtete ich mich, nicht vor den unheimlichen Stimmen, die des Nachts aus dem Moor herüberdrangen und von denen ich nicht wusste, ob sie von gefährlichen Tieren stammten oder von bösen Geistern — nur vor den Stimmen in meinem Inneren die schrien: Du bist verraten! Preisgegeben! Ausgeliefert! Es gibt keine Liebe, keine Güte, keine Barmherzigkeit auf der Welt. Sterben - sterben ist das einzige, was dir helfen kann.
Doch wenn du dann vor dem Moor stehst - ein Schritt, und du versinkst für immer! - Wohin? In die Hölle? In die ewige Qual? Weil du an Allahs Barmherzigkeit nicht geglaubt hast? Nicht darauf vertraut, dass seine Hilfe stärker ist als alle Nöte, die dir die Menschen bereiten? Und du den Fuß zurückziehst und läufst, läufst wie von bösen Geistern gehetzt und dich aufs Neue hineinstürzt in dieses Leben, das du dir nicht gegeben hast und das du dir nicht nehmen darfst - ja, dann, Romeileh, dann kann es geschehen, dass du die Finsternis hinter dir lässt, weil dir ein neues Licht aufleuchtet, und schiene es auch nur aus den Augen eines armseligen Lumpenweibes, das dich vom Wegrand aufliest und sagt: ›Komm!‹ und sagt: ›Iss!‹ und sagt: ›Schlaf!‹ und dir Brotrinden gibt und ein Strohlager aufschüttet in einem muffigen Kellerloch.
Du fürchtest dich vor deinem Mann? Kennst du ihn so wenig? Wenn ich du wäre, ich würde zu ihm gehn. Sagen: Hör. Und: Deshalb. Und: Verzeih.«
»Ja, Merwe, du! Aber ich kann das nicht. Ich würde mir lieber die Zunge abbeißen, lieber ...«
»Nun, Romeileh, dann lass es. Vielleicht ist es auch gar nicht nötig. Welid ist ja nicht Abu Amir - ist so arglos, so voller Vertrauen, dass er wahrscheinlich gar keinen Verdacht geschöpft hat. Und selbst wenn: Würde er euch in die Finsternis stoßen, von der ich eben sprach? Habe ich nicht sogar Abu Amirs Sinn umgelenkt, ihn zu der Einsicht gebracht, dass bei Allah Erbarmen mehr gilt als Gerechtigkeit? Und darauf sollte Welid nicht von selber kommen?«
Nein, Merwe, nicht von selber! Du musstest mich darauf stoßen!
Die Amme saß im Hof im Schatten eines Lorbeerstrauches und stillte das Kind. Welid ging zu ihr, wartete, bis es getrunken hatte, nahm es und trug es ins Frauengemach, wo Merwe sich immer noch halblaut mit Romeileh unterhielt.
»Verzeih«, sagte er, »dass ich vorhin hinausging. Ich konnte ihr Schreien nicht mehr hören. Was macht sie?«
»Sie schläft.«
»Und ich - ich habe mich unterdessen mit meinem Sohn angefreundet. Sieh, Romeileh, wie sehr er meiner Matter ähnelt.«
»Aber Welid, ich kannte sie doch gar nicht.«
»Freilich, freilich, du kanntest sie nicht. Aber darum sieht er ihr trotzdem ähnlich. Die breiten Backenknochen. Der Haaransatz über der Stirn. Keines ihrer Kinder hat das geerbt, und nun kommt es in ihrem Enkel wieder zum Vorschein. Ist das nicht seltsam?
Und wie wollen wir ihn nun nennen? Ich möchte nicht, dass sein Name in Marjam immer wieder diesen Schmerz aufrührt. Wollen wir ihm den Namen Hani geben, den dein Vater trägt, Romeileh?«
Die Frau tauschte mit Merwe einen raschen Blick. Und dann riss sie das Kind an sich und weinte.
Der Empfang, den Hakam seinem Feldherrn bereitete, war ein Schauspiel, wie Cordoba es seit Abderrachmans Zeiten nicht mehr erlebt hatte. Mit seinem ganzen Hofstaat war der Kalif dem herannahenden Heer entgegengeritten. Am äußersten Tor der Stadtbefestigung erwartete er seine siegreichen Truppen:
Als Ghalib seines Herrn ansichtig wurde, sprang er vom Pferd und warf sich vor ihm auf die Erde. Keiner der Reiter blieb sitzen. Wie auf Befehl standen alle Pferde, sprangen alle Männer auf die Erde, neigten sich aller Rücken. Da stieg auch der Kalif selbst ab und reichte Ghalib die Hand.
»Vor Allah wirft sich nieder, wer
Weitere Kostenlose Bücher