Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
ihm entgegenschwirrte, sondern über die Zinnen in die Feste hinein. Ein Mann sprang von einem Felsen, von dem aus er zweifellos eine Nachricht zu den Feinden geschossen hatte.
Verrat!
Mondhir duckte sich in das Gebüsch am Rande der Schlucht und wartete wie ein Wild auf das Herannahen der Beute. Ja, der Mann näherte sich der Brücke, er setzte seinen Fuß darauf. Da gab Mondhir ihm von hinten einen Stoß, dass er taumelte und in die Schlucht abstürzte.
Die Schlucht war nicht tief, der Mann fiel sich nicht zu Tode. Er musste sich aber doch erheblich verletzt haben, denn er schrie jämmerlich. Auf den Zinnen der Burg wurde es lebendig. Mondhir lief, so schnell ihn seine Füße trugen. Pfeile flogen an ihm vorbei. Einer traf ihn ins Schulterblatt. Verwundet schleppte er sich ins Lager zurück.
»Was machst du mit einem Soldaten, der deine Befehle missachtet?« fragte Abu Amir den Statthalter der nördlichen Grenze.
»Er ist noch ein Kind«, entgegnete Ibn Todschibi und als er Abu Amirs finsteres Gesicht sah: »Dein Bruder, Kadi.«
»Eben weil er mein Bruder ist. Und mich der Kalif zum Kadi über diese Truppen gesetzt hat ...«
»Du kannst mildernde Umstände berücksichtigen. Der Verräter, den Mondhir auf frischer Tat ertappt hat, ist aufgegriffen worden. Sprich diesem das Urteil und wiege den Dienst, den uns dein Bruder geleistet hat, gegen seinen Ungehorsam auf.«
Abu Amir schwieg.
»Und außerdem - niemand erwartet von dir, dass du einem Verwundeten, der kaum vernehmungsfähig ist, den Prozess machst. Warte, bis er wieder gesund ist. Vielleicht ist bis dahin dein Zorn verraucht.«
»Nein, Ibn Todschibi, ich bin nicht zornig. Dazu verstehe ich meinen Bruder viel zu gut. Wäre ich, gleich ihm, ohne väterliche Zucht, unter der Obhut einer zärtlichen Mutter aufgewachsen, die ihm Geschichten erzählte, statt ihn Koranverse zu lehren, und die viel zu schwach war, als dass sie seinen Unband hätte zügeln können, wäre auch mir in seinem Alter kein Fels zu hoch gewesen, kein Pferd zu wild, und kein Verbot hätte mich je gehindert, zu handeln, wie es mir in den Sinn gekommen wäre.
Aber ich habe unter der Zucht eines Vaters gestanden. Und auch er war Rechtsgelehrter. Und er würde in diesem Fall eine Fetwa abgeben, die ...«
»Dein Vater in Ehren, Abu Amir. Ich habe ihn gekannt. Wohl dir, wenn du noch niemals etwas getan hast, was gegen eine Fetwa, die er abgegeben hätte, verstößt.«
Abu Amir konnte nicht verhindern, dass ihm bei diesen Worten die Röte ins Gesicht stieg. Ibn Todschibi tat, als merkte er es nicht, und fuhr fort: »Du kannst die Behandlung dieses Falles wegen Befangenheit ablehnen. Kein Mensch würde es dir verargen, wenn du dich weigertest, über deinen Bruder zu Gericht zu sitzen.«
»Und wem soll ich es aufbürden?«
»Überlasse es dem Allmächtigen. Er allein ist weise und gerecht.« Ach, Ibn Todschibi hatte gut reden. Doch Abu Amir fand in der Nacht keinen Schlaf und bei Tag keine Ruhe. Immer schwebte ihm dieses wilde, verschlossene, trotzige Knabengesicht vor Augen, das er insgeheim fürchtete und gleichzeitig liebte. Was für Kämpfe mit dem Bruder standen ihm wohl noch bevor?
Am nächsten Tag suchte er Mondhir auf. Er hatte seit seiner Verwundung jede Begegnung mit ihm vermieden.
Wie er nicht anders erwartet hatte, fand er Welid an seinem Lager. Abu Amir blieb am Zelteingang stehen und lauschte ihrem Gespräch. Welid erzählte von Thorosch. Von seinen Fahrten mit Pedros Boot. Und plötzlich, ganz wie von weit her, kam Mondhirs Stimme: »Wir wären einmal fast damit ertrunken.«
»Wer? Pedro und du?«
»Nein, Marjam und ich. Pedro ...« Mondhirs Stimme war voller Verachtung. »Er hat sich ja um nichts mehr gekümmert. Verhungern hätte seine Tochter können! Ich ging in unsre Speisekammer, holte Brot und Käse, manchmal auch kaltes Fleisch und Zuckersirup, Feigen und Datteln aber pflückte ich von den Bäumen.«
Mondhir schwieg. Das Reden strengte ihn offenbar an. Und als Abu Amir eintrat, kehrte er sich der Wand zu.
»Was ist mit meinem Bruder, Welid?«
»Er hat Angst vor dir. Und zudem Fieber.«
Abu Amir fasste nach Mondhirs Hand. Sie glühte.
»Lass uns allein, Welid.«
Lange saß Abu Amir schweigend auf der Matte neben dem Lager des Bruders. Trotzig hielt Mondhir das Gesicht der Wand zugekehrt und schwieg ebenfalls. Die Schläfenlocke ringelte sich um seine Wange wie bei einem Kind. Seine Haut war vom Fieber gerötet, er lag völlig reglos da und versuchte den
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