Zu Staub Und Asche
seiner Frau umgebracht?«
»James Maybrick«, flüsterte Daniel. »Obwohl auch Zweifel laut geworden sind, ob es sich wirklich um Mord handelte.«
»Wirklich?«
»James nahm aus medizinischen Gründen jahrelang Arsen, das obendrein seine Männlichkeit ankurbelte. Seine Frau hat zwar fünfzehn Jahre im Gefängnis verbracht, war aber möglicherweise unschuldig. Im Gegensatz zu James. Manche Kriminalisten sind überzeugt, dass er der berühmte Jack the Ripper war.«
Hannah machte es sich gemütlich. »Sie wissen eine ganze Menge über Verbrechen.«
»Das ist nur der notwendigen Recherche zu verdanken. Ich schreibe schließlich an einer Geschichte des Mordes.«
»Wie weit sind Sie mit Die Hölle im Innern?«
»Um ehrlich zu sein: Es ist die Hölle, dieses Buch zu schreiben. Ich habe noch nicht einmal meinen Vortrag für Arlo Denstones Festival fertig. Das wahre Leben sorgt immer wieder für Unterbrechungen.«
»Und jetzt sind Sie zu allem Überfluss auch noch über einen echten Mord gestolpert.«
»Der Anblick von Stuarts Leiche hat mich wieder daran erinnert, warum ich doch lieber die Akademikerlaufbahn eingeschlagen habe.« Er blickte hoch zu den geschwärzten Deckenbalken, als versuche er, das Muster der Holzmaserung zu entziffern. »Genau da liegt der Unterschied zwischen meinem Vater und mir: Ich betrachte die Welt lieber aus einer sicheren Distanz. Thomas de Quincey hat zwar Lobeshymnen über den Mord als Kunstform geschrieben, aber wenn man ihm dann Auge in Auge gegenübersteht, sieht er schon ziemlich ekelhaft aus. Ich glaube nicht, dass ich je in der Lage wäre, Ihren Job zu machen.«
»Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Manchmal bin ich mir auch nicht ganz sicher, ob ich es kann.«
Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Alles in Ordnung?«
Aus irgendeinem ihr unverständlichen Grund wurde sie wütend. »Warum nicht?«, sagte sie schärfer als beabsichtigt.
»Sie wirken ein bisschen unglücklich - das ist alles.«
Sie biss die Zähne zusammen. »Merkt man das?«
»Ich fürchte, ja.«
»Tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht gleich den Kopf abreißen.«
»Anstrengender Tag?«
»Nicht so unangenehm wie Ihrer.«
»Für Louise war es noch viel schlimmer. Sie hatte noch nie einen Toten gesehen, und dann war es auch noch der Mann, mit dem sie Weihnachten gefeiert hatte. Der Anblick war wirklich unerfreulich. Aber sie wird darüber hinwegkommen. Heute Abend hat sie mir erzählt, dass sie schon längst nicht mehr in Stuart Wagg verliebt war, als er sie rausgeworfen hat.«
»Er war ein Fiesling.«
»Aber angeblich ausgesprochen charmant.«
»Charme ist noch längst nicht alles«, ereiferte sich Hannah.
»Louise vermutet, dass er es vielleicht einmal zu oft geschafft hat, Mörder der Justiz zu entziehen und dadurch selbst zum Mordopfer geworden ist. Der Brunnen kann nicht zufällig offen gestanden haben. Die Abdeckung ist sehr schwer. Selbst wenn er in der Lage gewesen wäre, bis zum Brunnenrand hochzuklettern, hätte er sie von unten nicht anheben können.«
»Seine Beine waren gebrochen und seine Knie zerschmettert.« Warum sollte Daniel nicht erfahren, welche Verletzungen der Tote hatte? Er hatte die Leiche immerhin gefunden, da brauchte man aus dem Rest kein Staatsgeheimnis zu machen. »Unter der Leiche haben wir einen Schraubenschlüssel gefunden. Er wurde offenbar in den Brunnen geworfen, nachdem man Stuart damit die Knochen zerschmettert hatte und ihn dann selbst dort hineinsperrte.«
Daniels Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Er wurde also absichtlich verletzt?«
»Wahrscheinlich, um ihn daran zu hindern, im Schacht nach oben und eventuell in Sicherheit zu klettern. Wer immer ihn dort hineingestoßen hat - er wollte ganz sichergehen, dass sein Opfer nicht entkommen konnte.«
Daniel stöhnte auf. »Jetzt sagen Sie nicht, dass er noch lebte, als er dort unten lag?«
»Doch.«
»Scheiße!«, fluchte Daniel leise.
»In der Tat«, bestätigte Hannah. »Ganz gleich, was er auf dem Kerbholz hatte - er hat nicht verdient, so jämmerlich zu sterben.«
»Und was war letztendlich die Todesursache?«
»Als ich heute Abend Feierabend machte, waren die Ergebnisse aus der Pathologie noch nicht da. Ich tippe auf Unterkühlung und möglicherweise Herzversagen. Er hatte eine Platzwunde am Kopf. Die haben Sie sicher gesehen. Vermutlich wurde er bewusstlos geschlagen, ehe man seine Beine und Knie zertrümmerte. Die Verletzungen waren nicht tödlich, aber er war nicht in der Verfassung, um eine
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