Zu Staub Und Asche
nachzudenken«, sagte sie. »Okay, also los. Bethany Friend hatte Angst vor Wasser, George Saffell fürchtete sich vor Schmerzen, und Stuart Wagg litt unter Klaustrophobie. Und in allen Fällen endete ihr Leben unter Umständen, die sie als ganz entsetzlich empfunden haben müssen.«
Hannahs Herz pochte schneller, als sie das Telefon ins Ladegerät stellte. Sie durfte nicht zulassen, dass die Gedanken über Daniel sie aus dem Konzept brachten - sie hatte ohnehin schon genug Ärger. Es war merkwürdig gewesen, allein aufzuwachen, obwohl Marc häufig nicht zu Hause war, wenn er auf Buchmessen ausstellte oder Sammler besuchte, die Bücher anboten. Aber dieser Morgen war anders. Das zugige, hallende Haus schien zu groß für sie zu sein. Sie wusste nicht, wann er zurückkommen würde. Oder ob überhaupt.
Sie warf einen Blick auf ihr Handy, um zu sehen, ob er eine SMS geschickt hatte. Nichts. Blöder Scheißkerl! Falls er bei seiner Mutter untergekrochen war, würde ihm das Hängen an ihrem Schürzenzipfel sicher bald auf die Nerven gehen. Okay, lassen wir ihn schwitzen! Auf keinen Fall würde sie den ersten Schritt machen. Zumindest nicht heute.
Das Wichtigste war zunächst, Bericht zu erstatten, dass Bethany Friend vor ihrer Zeit an der Universität für Amos Books gearbeitet hatte. Was auch immer sie Daniel in einem ihrer seltenen Anfälle von Angeberei erzählt hatte - wenn sie diese Ermittlung in den Sand setzte, war ihre Karriere endgültig im Eimer. Natürlich musste auch Lauren erfahren, dass Marc Bethany gekannt hatte, aber zunächst wollte sie es Fern Larter beibringen. Sie schickte Fern eine SMS und bat sie um ein Treffen vor dem allgemeinen Briefing ihrer beiden Abteilungen. Die Antwort kam sofort. Fern war bestens gelaunt, freute sich über ihr Radiointerview am frühen Morgen und darüber, dass in die Ermittlungen im Fall George Saffell, die so lange stagniert hatten, endlich Bewegung kam.
Das Gras vor Undercrag sah zwar nicht aus, als wäre es gefroren, aber als Hannah es betrat, um die Windschutzscheibe ihres Lexus freizukratzen, fühlte es sich hart und bröckelig an wie Zuckerglasur auf einem Kuchen. Im Reif waren zahllose Rehspuren erkennbar. Hannah fragte sich, ob in der Nacht so viele Tiere an ihrem Haus vorbeigewandert waren oder ob sich nur einige wenige Rehe in immer enger werdenden Kreisen um denselben Mittelpunkt gedreht hatten. Jedenfalls wusste sie ganz genau, wie es sich anfühlte.
Der Nebel nahm sie in sich auf, als sie die Haustür abschloss, und verwandelte die Fahrt nach Kendal in ein nervenaufreibendes Kriechen. Hannah hasste Nebel. Wenn er in den Tälern hing, verwandelte er den Lake District in ein kaltes, fremdartiges Land. Und im Nebel Auto zu fahren hasste sie noch mehr. Man wusste nie, was hinter der nächsten Biegung wartete - vielleicht ein Auto, das ohne Licht fuhr, oder ein Riesenstau.
Die kurvige Straße erforderte ihre gesamte Konzentration. Trotzdem schaffte sie es nicht, ein ganz bestimmtes Bild aus ihrem Kopf zu verjagen: das böse Lachen auf Wanda Saffells Gesicht, als sie Arlo Denstones weißes Jackett mit Rotwein übergoss. Wanda war an diesem Abend betrunken gewesen, und Arlo hatte sie verhöhnt. Aber wies der Vorfall tatsächlich auf einen gefährlichen Mangel an Zurückhaltung hin? War sie zu Schlimmerem fähig, als auf einer Party eine Szene zu machen? Oder hoffte Hannah nur auf eine solche Lösung, weil Wanda ihr den Floh ins Ohr gesetzt hatte, Marc könne mit Bethany geschlafen haben?
Sie suchte sofort Ferns Büro auf. Fern organisierte für beide einen Kaffee und verbrachte die nächsten fünf Minuten damit, die Dinge zurechtzurücken. Natürlich musste Marc verhört werden, schon um nichts und niemand auszulassen. Falls er noch etwas zu den Ermittlungen beitragen konnte, umso besser. Allerdings hatte Bethany schon Monate vor ihrem Tod bei Amos Books aufgehört. Wenn man die Teilzeitbeschäftigungen als Kellnerin oder Barfrau mitrechnete, hatte sie auch davor schon unzählige Jobs gehabt. Es war also nichts Weltbewegendes.
»Marc ist ausgezogen«, sagte Hannah.
Fern trank erst einmal einen Schluck Kaffee. Auf ihrer Tasse stand: Wohlerzogene Frauen machen selten Geschichte.
»Nachdem du ihm die Leviten gelesen hast?«
»Er hätte mir gegenüber offen sein und zugeben müssen, dass er sie gekannt hat. Ich hätte es nicht von Wanda Saffell erfahren dürfen.«
Bereits während sie sprach, fiel ihr auf, dass sie sich hartherzig und kompromisslos anhörte.
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