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Zu Staub Und Asche

Zu Staub Und Asche

Titel: Zu Staub Und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Edwards
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trank den letzten Schluck Tee und verkündete, noch einen Spaziergang machen zu wollen, bevor er ins Geschäft fahre.
    »Willst du wirklich bei diesem Nebel fahren?«
    »Schau doch mal aus dem Fenster, Mum! Über der Bucht sieht man sogar ein wenig Sonne.«
    »Na ja, du musst es selbst wissen. Aber zieh dich wenigstens warm an, Schatz.«
    Einmal Mutter, immer Mutter.
    Marc drückte einen Kuss auf ihre ledrigen Wangen und machte sich auf den Weg zur alten Promenade. Nebelstreifen hingen an den Berggipfeln oberhalb der Stadt. Marc vermutete, dass Undercrag in ein kaltes, graues Leichentuch gehüllt war. Aber das war Hannahs Problem, nicht seines. Warum musste sie sich auch auf heimliche Treffen mit Daniel Kind einlassen?
    Er passierte den Damm, der nach Holme Island hinüberführte. Die Insel war inzwischen nur noch durch gelblich braunes Schlickgras vom Festland getrennt. Das Gras wuchs so wild und üppig, dass manche Leute behaupteten, die Promenade wäre nur deswegen noch kein Opfer der Wellen geworden. Wo früher kleine Kinder Sandburgen gebaut hatten, grasten heute Schafe. Irgendwann würde man die Stadt in Grange-over-Grass umbenennen müssen. Selbst die Metallpfosten eines längst nicht mehr vorhandenen Piers wurden von den Salzwiesen überwuchert.
    An einer Stelle, die das Ende einer unsichtbaren Straße über die Bucht markierte, lehnte sich Marc an das Geländer. Einen Monat nach seinem ersten Date mit Hannah hatte er sie auf eine dreizehn Kilometer lange Wanderung von Arnside nach Grange mitgenommen. Sie wanderten mit einem Führer, der den Fließsand wie seine Hosentasche kannte. Manchmal reichte ihnen das Wasser bis zu den Oberschenkeln. Eine falsche Bewegung, und alles wäre vorbei gewesen. An diesem sommerlichen Sonntagnachmittag hatte er ihre Hand gehalten und ihr zugeflüstert, was er mit ihr tun wolle, wenn sie wieder zu Hause waren. Die unterschwellige Gefahr fügte seiner Erregung einen wohligen Schauder hinzu.
    Unterwegs hatten sie Austernfischer dabei beobachtet, wie sie Muscheln öffneten. Enten waren über ihre Köpfe hinweggeschwirrt. Sie hatte seinen Geschichten über Bücher mit der innigen Konzentration einer frisch verliebten Frau gelauscht. Er erzählte ihr von dem riskanten Kauf des handgeschriebenen Manuskripts eines berühmten Thrillers in einem Secondhandladen in Lunedale, das er schließlich für ein kleines Vermögen an einen japanischen Sammler weiterverkaufte. Der Mörder in diesem Roman hatte sich ein geniales Alibi verschafft, das erst aufflog, als dem Detektiv klar wurde, dass der Verdächtige sein Opfer nur erreicht haben könnte, wenn er nicht die gewundene Küstenstraße entlanggefahren, sondern diagonal über das stille Wasser der Bucht gereist wäre.
    Mord. Überall Mord.
    Die Zeiten änderten sich, und Gewohnheit hatte Langeweile im Gepäck. Hannah war seiner Bücher und seines Geschäfts überdrüssig geworden. Auch seiner war sie müde; er befürchtete, dass er es nicht mehr fertigbrachte, so reizvoll für sie zu sein wie in früheren Zeiten. Cassie war da ganz anders. Sie war jünger und nicht von ihrer Arbeit besessen, allerdings sah es so aus, als hätte sie eine Schwäche für Männer, die sie zunächst auf Händen trugen, dann aber fallen ließen. Jetzt brauchte sie Freundlichkeit. Am Vorabend, als Hannah auf dem Weg zu ihrem Rendezvous mit Daniel Kind die Tür hinter sich zuschlug, hatte Marc Cassie eine SMS geschickt.
    Morgen Abend schon was vor?
    Cassie hatte an diesem Tag frei, und er brauchte sie auch nicht im Geschäft. Außer Zoe hielt Judith, eine langjährige Teilzeitkraft, die Stellung. Marc sehnte sich nach Cassies Gesellschaft. Die Leere schmerzte ihn wie körperlicher Hunger, der an seinen Eingeweiden nagte.
    Innerhalb einer halben Minute antwortete sie:
    Bis jetzt nicht.
    Sofort erkundigte er sich, ob sie Lust auf einen Drink mit ihm hätte, doch die Antwort kam postwendend: Geht leider nicht.
    Mist, war dieser Freund etwa wieder aktuell? Marc fühlte sich miserabel. Hastig tippte er eine weitere Nachricht, um zu erfahren, ob sie sich denn wenigstens morgens treffen könnten.
    Auch hier kam die Antwort sofort.
    Gern.
    Sie hatte sogar zwei Küsschen hinzugefügt.
    An klaren Tagen war von der zerbröckelnden Promenade aus manchmal der Blackpool Tower zu sehen, doch an diesem Morgen erkannte man nicht einmal das offene Meer jenseits der Insel Holme. Die wenigen Sonnenstrahlen waren verschwunden; der Himmel zeigte sich jetzt so grau und wolkig wie die

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